Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XIX. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (19)

14 Die natürlichen Grundlagen des Staatswesens. Die Bevölkerung des Staates. 8 10 
lich auf die Befreiung von gewissen Steuern und anderen öffentlichrechtlichen Ver- 
pflichtungen 1). 
l 10. Die Reichsangehörigen ohne hessische Staatsangehörigkeit 2). Jeder 
Angehörige eines deutschen Staates ist auf Grund dieser Eigenschaft zugleich Reichsangehöriger 
und hat als solcher sowohl gegenüber dem Gesamtstaate 3) als auch gegenüber allen deutschen 
Einzelstaaten — auch gegenüber denjenigen, deren Staatsangehörigkeit er nicht besitzt — 
gewisse Rechte und Pflichten. Der Inhalt dieser Rechte und Pflichten bestimmt sich teils 
nach Reichsrecht, teils nach Landesrecht. 
Zunächst hat jeder Reichsangehörige innerhalb der dem Reiche zugewiesenen Kompe- 
tenz gegenüber dem Reiche alle diejenigen öffentlichrechtlichen 1) Untertanenrechte 
und Pflichten, welche im normalen Einheitsstaat dem Staatsangehörigen gegenüber seinem 
Heimatsstaate zukommen 5): Das sind): die „Pflicht zu verfassungsmäßigem Gehorsam 
und zur Treue“, und „das Recht auf Schutz im Auslande, Schutz im Inlande und Teilnahme 
am Verfassungsleben des Reiches“. Diese Rechte und Pflichten bedürfen hier keiner näheren 
Behandlung sie sind auch einer gesonderten Darstellung insofern kaum fähig, als sie größten- 
teils mit den in der Landesangehörigkeit enthaltenen Rechten und Pflichten untrennbar ver- 
wachsen sind?). 
Neben diesen Rechten und Pflichten gegenüber dem Gesamtstaat gibt es indessen 
auch eine Reihe von Rechten und Pflichten, welche dem Angehörigen jedes deutschen Einzel- 
staats unmittelbar gegenüber jedem anderen deutschen Einzelstaate und 
namentlich gegenüber dem Aufenthaltsstaate zustehen. In erster Linie hat jeder 
Reichsdeutsche vermöge des für ganz Deutschland bestehenden gemeinsamen Indigenats (NV. 
Art. 3) den Rechtsanspruch, im ganzen Reichsgebiete, also auch außerhalb des Heimatsstaates, 
als Inländer behandelt zu werden. Demnach ist — entsprechend den grundlegenden Vor- 
schriften des Art. 3 RV. — jeder Reichsangehörige, auch wenn er sich nicht im Besitze der 
hessischen Staatsangehörigkeit befindet, in Hessen zum festen Wohnsitze (und nach § 1 des Frei- 
zügigkeitsgesetzes auch zum Aufenthalte), zum Gewerbebetriebe, zu öffentlichen Amtern s), 
zur Erwerbung von Grundstücken, zur Erlangung der politischen Rechte?) und zum Genusse 
aller sonstigen bürgerlichen Rechte unter denselben Voraussetzungen wie der Einheimische 
zuzulassen und auch in betreff der Rechtsverfolgung und des Rechtsschutzes demselben gleich 
1) Vgl. z. B. bezüglich der Befreiung von persönlichen Steuern G., die allgemeine Einkommen- 
steuer betreffend, vom 12. Aug. 1899 (RBl. S. 472) Art. 6 Ziff. 10 und G., die Vermögens- 
steuer betreffend, v. gl. Tage (RBl. S. 499), Art. 4 Ziff. 2; ferner R. über die Kriegsleistungen 
vom 13. Juni 1873 (RGBl. S. 129) J5.25 Ziff. 2; RE. betr. die Quartierleistung für die bewaffnete 
Macht während des Friedenszustandes, vom 25. Juni 1868 (RGBl. S. 523) F 4 Ziff. 2; R. 
über die Naturalleistungen für die bewaffnete Macht im Frieden, i. d. F. v. 24. Mai 1898 
(Rol. S. 360) +& 3 Ziff. 2. 
2) Die Rechte und Pflichten, welche einerseits durch die Staatsangehörigkeit, andererseits 
durch die Reichsangehörigkeit begründet werden, sind, wie Laband I S. 141 zutreffend aus- 
führt, so eng miteinander verknüpft, daß sich der Inhalt dieser beiden Rechtseigenschaften nicht 
egeneinander abgrenzen läßt. Trotzdem erscheint es als zweckmäßig, bei der Betrachtung der 
F#chtsstellung der Staatseinwohner im Einzelstaat zu unterscheiden zwischen denjenigen Reichs- 
angehörigen, welche zugleich Angehörige des betreffenden Einzelstaats sind, und denjenigen, 
bei welchen dies nicht der Fall ist. 
3) Vgl. Seydel, Kommentar z. Verfassungs-Urkunde f. d. Deutsche Reich, 1897, S. 50 Abs. 4. 
4) Mit Rücksicht auf die Sonderbedeutung, welcher dem Ausdrucke „Staatsbürger“ bisher 
nach hess. Staatsrecht zukam, muß hier der Ausdruck „staatsbürgerlich" vermieden werden. 
5) Vgl. Laband, StMR. I, 150: „Das Reichsbürgerrecht enthält nichts, was nicht auch 
das Staatsbürgerrecht in dem souveränen Einheitsstaat enthalten würde; es ist nichts anderes 
als das Staatsbürgerrecht in denjenigen Beziehungen, in denen das Reich an die Stelle des 
Einzelstaates getreten ist.“ 
6) Siehe die scharf durchdachte Formulierung und die eingehenden Ausführungen Labands 
StR. I S. 140 ff, 150 ff. 
7) Vgl. Laband I S. 14s ff. 
8) Vgl. hierüber unten §§ 42 ff. 
9) Vgl. hierüber unten §§ 20 ff.
	        
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