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erforderlich für die Neuerrichtung von Gebäuden, für die Vornahme von Hauptänderungen
an solchen nach der Straßenseite hin und für die Neuerrichtung, Verlegung oder Abänderung
von Feuerstätten (BO. 62—64) 1). Beschwerden wegen Verweigerung der Genehmigung
usw. oder wegen sonstiger baupolizeilicher Verfügungen (namentlich baulicher Auflagen) sind
vom Kreisamt bzw. vom Ministerium des Innern zu entscheiden (BO. 71, AV. 96). Für
die Einhaltung der bestehenden allgemeine Vorschriften und der im Einzelfall getroffenen
besonderen Anordnungen sind sowohl die Bauherren als auch deren Baumeister und Bau-
handwerker strafrechtlich verantwortlich (BP. 79, 80). Auch können die Polizeibehörden behufs
Herbeiführung des vorschriftsmäßigen Zustandes die erforderlichen Zwangsmaßregeln anordnen
(BO. 80; St O. 129b; KO. 66). Gleichwohl ist eine dauernde Sicherstellung des Vollzugs
der baupolizeilichen Auflagen bisher nicht gewährleistet ?.
Sofern bezüglich der Einteilung der Grundstücke eines durch den Ortsbauplan festgestellten
Bauquartiers in „bauwürdige“, d. h. dem Ortsstatut entsprechende Bauplätze keine gütliche
Verständigung der Beteiligten erzielt wurde, kann auf Antrag eines der Beteiligten die Ge-
meinde die betreffenden Grundstücke auf dem Expropriationswege erwerben und nach vor-
heriger Einteilung in zweckmäßige Bauplätze wieder versteigern. Besondere Grundsätze gelten
hinsichtlich der zwangsweisen Zusammenlegung bebauungsunfähiger Grundstücke auf Grund
älterer Sondergesetze für das Gebiet der Stadt Mainz (BO. 81) 3).
§ 97. Wohnungsaufsicht und Wohnungsfürsorge""). Die hessische Wohnungs-
gesetzgebung, mit der der hessische Staat in vorbildlicher Weise für andere deutsche Staaten
die Initiative in der schwierigen Frage der staatlichen Bekämpfung der Mißstände auf dem
Gebiete des Wohnungswesens ergriffen hat, besteht aus den drei Gesetzen vom 1. Juli 1893,
betreffend die polizeiliche Beaufsichtigung von Mietwohnungen und Schlafstellen (RBl. S. 101),
vom 7. August 1902, die Wohnungsfürsorge für Minderbemittelte betreffend (RBl. S. 357)
und vom 1. Juli 1908 über die Anderung des an zweiter Stelle genannten Gesetzes (RBl.
S. 157) 5). Obgleich das erste dieser drei Gesetze ausgesprochen polizeilichen Zwecken
dient, während die beiden anderen mehr pfleglichen Charakter tragen, stehen sie doch
in untrennbarem Zusammenhang; das Wohnungsaussichtsgesetz von 1893 ist durch das Woh-
nungsfürsorgegesetz von 1902 in wichtigen Richtungen ergänzt und abgeändert worden. Im
wesentlichen gipfelt die Wohnungsgesetzgebung in der Aufstellung folgender Grundsätze:
1) Vgl. aber auch BO. 18, wonach in Gemeinden, in welchen für die Anlegung neuer
Straßen in dem Ortsbauplan ausreichend Vorsehung getroffen worden ist, durch Ortsstatut
bestimmt werden kann, daß außerhalb des Bereichs des Ortsbauplanes Gebäude überhaupt nicht
errichtet werden dürfen. S. hierzu Siegert S. 108.
· 2) Bgl. die Vorschläge des Abg. Dr. Glässing, oben S. 246 Anm. 2; Siegert S. 101 ff.
3) Vgl. Siegert S. 109 ff.
4) Bgl. Braun, Die wirtschaftspolitische Gesetzgebung des Großherzogtums Hessen im
Jahre 1902, Darmstadt 1902. (Das Werk gibt auf S. 135—201 die amtlichen Materialien und
den Text des Wohnungsfürsorgegesetzes von 1902 mit wertvollen Erläuterungen, sowie den
Text des Wohnungsausfsichtsgesetzes von 1893). — W. Troeltsch, Die hessische wirtschafts-
politische Gesetzgebung im Jahre 1902 und ihre bisherigen Erfolge, in Schmollers Jahrb. für
Gesetzgebg. usw. XXIX 3, S. 201—233, Leipzig 1905. — Matthias, Wohnungsausfsicht
und Wohnungsfürsorge nach der hess. Gesetzgebung, mit Motiven, Erläuterungen u. Sachreg.,
amtl. HA., Darmstadt 1906. — Rudolf Siegert, Die Wohnungsfürsorge im Großherzogtum
Hessen, Gießener Dissertation 1907. — Gretzschel, Jahresberichte des Gr. Hess. Landes-
wohnungsinspektors, i. Mitteilg. d. Zentralstelle f. Lst. Nr. 915 (1911), Nr. 934 (1912); die
Berichte über die früheren Jahre erschienen als selbständige Veröffentlichungen Darmstadt
1903 ff. — Ernst-Ludwig-Verein (Hess. Zentralverein f. Errichtg. billiger Wohnungen),
hresberichte laußer den Berichten auch Vorträge von André, Biermer u. a. enthaltend),
armstadt 1902 ff.
5) Bezüglich der amtlichen Materialien der beiden erstgenannten Gesetze (namentlich L.
1900/03 I. K., Beil. 262, Ausschußbericht des um jene Gesetze besonders verdienten Frei-
hesen Heyl zu Herrnsheim,, u. LV. II. K., Drucks. 898, Ausschußbericht Köhler)
é. Braun, Troeltsch und Matthias a. a. O., bezüglich des letztgenannten Gesetzes
. LV. 1905/8, II. K., Drucks. 9, 207, 600 (Regierungsvorlage), 789 (Ausschußbericht Seelinger),
Prot. 13, 15, 26, 114; I. K. Beil. 7, 23, 246, Prot. 4, 16, sowie van Calker, i. Jahrb.
d. öff. R. d. G. IV. (1910) S. 427 f.