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zu behandeln:). Im Hinblick auf diese Bestimmung der Reichsverfassung und auf eine Reihe
weiterer reichsgesetzlicher Vorschriften partizipieren alle Reichsangehörigen ohne Rücksicht auf
ihre Einzelstaatsangehörigkeit im wesentlichen „auch an den allgemeinen Rechten der Hessen“,
welche sich nach dem Muster der droits publics des Francais im dritten Titel der hessischen Ver-
fassungsurkunde (Art. 12—36) aufgezählt finden. Bei diesen sogenannten „Rechten“ handelt
es sich jedoch nicht um subjektive Rechte der Untertanen, sondern nur um objektive Schranken
für die Machtbefugnisse der Behörden?). Daher mag hier eine kurze Aufzählung der haupt-
sächlichsten, durch die hessische Verfassung garantierten, heute großenteils durch die Reichs-
gesetzgebung überholten „Grundrechte“ genügen: Gleichheit vor dem Gesetze (Art. 18), Gleich-
heit aller politischen und bürgerlichen Rechte der staatlich anerkannten christlichen Konfessionen
(Art. 20, 21), Freiheit der Person und des Eigentums (Art. 22—27, 33, 36), ferner — als not-
wendige Folgerungen aus diesen Rechten — Gewissensfreiheit (Art. 22), Auswanderungsfrei-
heit (Art. 24), Freiheit von Leibeigenschaft und ungemessenen oder unablösbaren Fronden
(Art. 25. 26); Schutz vor willkürlicher Verhaftung (Art. 33) und vor willkürlicher Justiz (Art. 31,
322, 34), Preßfreiheit (Art. 35), Freiheit der Berufswahl (Art. 36), endlich Schutz des Eigen-
tums des einzelnen und der Korporationen vor Konfiskation oder willkürlicher Verwendung
zu öffentlichen Zwecken (Art. 27, 43, 44, 46) 2). Hinsichtlich des Genusses der eigentlichen poli-
tischen Rechte — abgesehen vom Landtagswahlrecht — sind in Hessen auf Grund des Landes-
rechts die Angehörigen anderer deutscher Staaten den hessischen Staatsangehörigen im wesent-
lichen gleichgestellt. Dies gilt vor allem bezüglich der aktiven und passiven Teilnahme bei der
Bildung der verfassungsmäßigen Organe der Stadt= und der Landgemeinden (StO.
Art. 38, 40, LGO. Art. 38, 40, 70 (Sondeworschrift f. Bürgermeister u. Beigeordnete!))
und bezüglich der Teilnahme an der Verwaltung und Vertretung der Kreise und Provinzen
(KO. Art. 5, 6, 16, 25).
Der Kreis der öffentlich-rechtlichen Pflichten ist für hessische und nichthessische Reichs-
angehörige im allgemeinen der gleiche; insbesondere sind beispielsweise auch Nicht-Hessen
zur Übernahme öffentlicher Amter in der Gemeinde-, Kreis- und Provinzialverwaltung ver-
pflichtet. Vereinzelte Ausnahmen von der grundsätzlichen Gleichstellung — wie z. B. bezüg-
lich der Besteuerung") — haben selbstverständlich nicht den Zweck, die nichthessischen Reichs-
angehörigen zu begünstigen, sondern bezwecken nur die Vermeidung von Unhbilligkeiten. Die
in HV. 28, 29 statuierte Pflicht der Hessen zur Verteidigung des Vaterlandes in außerordent-
lichen Notfällen und zur Erfüllung der ordentlichen Kriegsdienstpflicht ist durch die allen
Reichsangehörigen obliegenden reichsrechtlichen Pflichten militärischer Natur ersetzt.
#s# 11. Die hessischen Staatsangehörigen im allgemeinen. Erwerb und Verlust
der hessischen Staatsangehörigkeit (und damit der Reichsangehörigkeit) vollziehen sich
nach den Regeln des Reichsrechts 5), und sind im wesentlichen von dem Willen des hessi-
schen Staates unabhängig 6). Die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften beschränken
1) Vgl. hierüber die Ausführungen des bessichen Bundeskommissars Hofmann im
— Reichstage (Sten. Ber. S.
. It die überzeugenden Ausführungen L ; b nds S. L, 150. — Uber die Streitfrage
nach 2 Natur der subjektiven Rechte überhaupt vgl. Jellinek, System der subjektiven
öffentlichen Rechte, 2. Aufl., Tübingen 1905, bes. S. 94 ff. — Siehe auch Rehhm, ASto.. S. 243 ff.
3) Vgl. van Calker, VerfG. S. 42 ff.
4) Vgl. Kapitalrentensteuergesetz v. 10. VII. 1895 Art. 3 II; dazu Entscheidung des Großh.
hess. V. abgedr. in Zeitschr. f. St. u. G#. XXIX. S. 96. — Eine besondere Begünstigung für
Nichthessen in bezug auf die Leistung von Gemeindesteuern sieht Art. 59 Abs. 1 Ziff. 5 des
Gemeindeumlagengesetzes vom 8. Juli 1911 vor.
5) Siehe Reichsgesetz über die Erwerbung und den Verlust der Bundes-(Reichs-) und Staats-
angehörigkeit vom 1. Juni 1870, abgeändert durch Reichsgesetz vom 22. April 1871 (R#Bl. 1870
S. 355, 1871 S. 87) und EcG. z. BG. Art. 41. — Kommentare von Cahn (3. Aufl., Berlin
1908); Rauchalles (Ansbach 1901); Grill (München 19006).
6) Die Bestimmungen der H V. Art. 13 u. 17 über Erwerb und Verlust des hessischen In-
dignats haben durch das St AEG. ihre Gültigkeit verloren. Lediglich bezüglich der Naturalisation
kann der Einzelstaat auf dem Wege des Gesetzes oder der Verwaltungsmaßnahme noch über
die Mindestforderungen des Reichsrechts hinausgehende Anordnungen treffen.