Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XIX. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (19)

8 11 Die hessischen Staatsangehörigen im allgemeinen. 15 
zu behandeln:). Im Hinblick auf diese Bestimmung der Reichsverfassung und auf eine Reihe 
weiterer reichsgesetzlicher Vorschriften partizipieren alle Reichsangehörigen ohne Rücksicht auf 
ihre Einzelstaatsangehörigkeit im wesentlichen „auch an den allgemeinen Rechten der Hessen“, 
welche sich nach dem Muster der droits publics des Francais im dritten Titel der hessischen Ver- 
fassungsurkunde (Art. 12—36) aufgezählt finden. Bei diesen sogenannten „Rechten“ handelt 
es sich jedoch nicht um subjektive Rechte der Untertanen, sondern nur um objektive Schranken 
für die Machtbefugnisse der Behörden?). Daher mag hier eine kurze Aufzählung der haupt- 
sächlichsten, durch die hessische Verfassung garantierten, heute großenteils durch die Reichs- 
gesetzgebung überholten „Grundrechte“ genügen: Gleichheit vor dem Gesetze (Art. 18), Gleich- 
heit aller politischen und bürgerlichen Rechte der staatlich anerkannten christlichen Konfessionen 
(Art. 20, 21), Freiheit der Person und des Eigentums (Art. 22—27, 33, 36), ferner — als not- 
wendige Folgerungen aus diesen Rechten — Gewissensfreiheit (Art. 22), Auswanderungsfrei- 
heit (Art. 24), Freiheit von Leibeigenschaft und ungemessenen oder unablösbaren Fronden 
(Art. 25. 26); Schutz vor willkürlicher Verhaftung (Art. 33) und vor willkürlicher Justiz (Art. 31, 
322, 34), Preßfreiheit (Art. 35), Freiheit der Berufswahl (Art. 36), endlich Schutz des Eigen- 
tums des einzelnen und der Korporationen vor Konfiskation oder willkürlicher Verwendung 
zu öffentlichen Zwecken (Art. 27, 43, 44, 46) 2). Hinsichtlich des Genusses der eigentlichen poli- 
tischen Rechte — abgesehen vom Landtagswahlrecht — sind in Hessen auf Grund des Landes- 
rechts die Angehörigen anderer deutscher Staaten den hessischen Staatsangehörigen im wesent- 
lichen gleichgestellt. Dies gilt vor allem bezüglich der aktiven und passiven Teilnahme bei der 
Bildung der verfassungsmäßigen Organe der Stadt= und der Landgemeinden (StO. 
Art. 38, 40, LGO. Art. 38, 40, 70 (Sondeworschrift f. Bürgermeister u. Beigeordnete!)) 
und bezüglich der Teilnahme an der Verwaltung und Vertretung der Kreise und Provinzen 
(KO. Art. 5, 6, 16, 25). 
Der Kreis der öffentlich-rechtlichen Pflichten ist für hessische und nichthessische Reichs- 
angehörige im allgemeinen der gleiche; insbesondere sind beispielsweise auch Nicht-Hessen 
zur Übernahme öffentlicher Amter in der Gemeinde-, Kreis- und Provinzialverwaltung ver- 
pflichtet. Vereinzelte Ausnahmen von der grundsätzlichen Gleichstellung — wie z. B. bezüg- 
lich der Besteuerung") — haben selbstverständlich nicht den Zweck, die nichthessischen Reichs- 
angehörigen zu begünstigen, sondern bezwecken nur die Vermeidung von Unhbilligkeiten. Die 
in HV. 28, 29 statuierte Pflicht der Hessen zur Verteidigung des Vaterlandes in außerordent- 
lichen Notfällen und zur Erfüllung der ordentlichen Kriegsdienstpflicht ist durch die allen 
Reichsangehörigen obliegenden reichsrechtlichen Pflichten militärischer Natur ersetzt. 
#s# 11. Die hessischen Staatsangehörigen im allgemeinen. Erwerb und Verlust 
der hessischen Staatsangehörigkeit (und damit der Reichsangehörigkeit) vollziehen sich 
nach den Regeln des Reichsrechts 5), und sind im wesentlichen von dem Willen des hessi- 
schen Staates unabhängig 6). Die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften beschränken 
1) Vgl. hierüber die Ausführungen des bessichen Bundeskommissars Hofmann im 
— Reichstage (Sten. Ber. S. 
. It die überzeugenden Ausführungen L ; b nds S. L, 150. — Uber die Streitfrage 
nach 2 Natur der subjektiven Rechte überhaupt vgl. Jellinek, System der subjektiven 
öffentlichen Rechte, 2. Aufl., Tübingen 1905, bes. S. 94 ff. — Siehe auch Rehhm, ASto.. S. 243 ff. 
3) Vgl. van Calker, VerfG. S. 42 ff. 
4) Vgl. Kapitalrentensteuergesetz v. 10. VII. 1895 Art. 3 II; dazu Entscheidung des Großh. 
hess. V. abgedr. in Zeitschr. f. St. u. G#. XXIX. S. 96. — Eine besondere Begünstigung für 
Nichthessen in bezug auf die Leistung von Gemeindesteuern sieht Art. 59 Abs. 1 Ziff. 5 des 
Gemeindeumlagengesetzes vom 8. Juli 1911 vor. 
5) Siehe Reichsgesetz über die Erwerbung und den Verlust der Bundes-(Reichs-) und Staats- 
angehörigkeit vom 1. Juni 1870, abgeändert durch Reichsgesetz vom 22. April 1871 (R#Bl. 1870 
S. 355, 1871 S. 87) und EcG. z. BG. Art. 41. — Kommentare von Cahn (3. Aufl., Berlin 
1908); Rauchalles (Ansbach 1901); Grill (München 19006). 
6) Die Bestimmungen der H V. Art. 13 u. 17 über Erwerb und Verlust des hessischen In- 
dignats haben durch das St AEG. ihre Gültigkeit verloren. Lediglich bezüglich der Naturalisation 
kann der Einzelstaat auf dem Wege des Gesetzes oder der Verwaltungsmaßnahme noch über 
die Mindestforderungen des Reichsrechts hinausgehende Anordnungen treffen.
	        
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