Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XIX. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (19)

18 Die natürlichen Grundlagen des Staatswesens. Die Bevölkerung des Staates. l 12 
  
verpflichtet, den Verfassungseid 1) abzulegen. Diese Eidesleistung hat jedoch keinerlei recht- 
liche Wirkung, da die in Art. 108 aufgeführten Pflichten bereits durch das Staats- 
angehörigkeitsverhältnis begründet werden. Eine Erzwingung der Eidesleistung kann nicht 
stattfinden. Ein Ministerialerlaß vom 15. Mai 18502), der als Folge der Unterlassung des 
Eides die Suspension der Ausübung der vom Besitze des Staatsbürgerrechts abhängigen 
politischen Rechte statuieren will, kann angesichts der erschöpfenden Aufzählung der Suspen- 
dierungsfälle in Art. 7 und 8 des Landständegesetzes von 1911 keine rechtliche Geltung be- 
anspruchen. 
II. Die Standesherrn. 
Unter „standesherrlichen Familien“ in der seit den Zeiten des alten deutschen Bundes 
feststehenden Bedeutung dieses Wortes versteht man 3) zunächst „die seit dem Jahre 1806 der 
Souveränität eines deutschen Bundesfürsten unterworfenen, ehemals reichsständischen fürst- 
lichen und gräflichen Häuser, welche auf den Genuß aller durch die deutsche Bundesakte vom 
Jahre 1815 (Art. 14) denselben eingeräumten Rechte Anspruch haben“; des weiteren „alle 
diejenigen adeligen Familien, welchen, obwohl sie nicht zu den bis zum Jahre 1806 reichs- 
ständisch gewesenen Geschlechtern gehört hatten, aus besonderen, auf Grund ihrer Standes- 
stellung zur Reichszeit beruhenden Gründen durch spätere Bundesbeschlüsse die im genannten 
Artikel der deutschen Bundesakte enthaltenen persönlichen und Familienrechte beigelegt worden 
sind“ 4). Der Kreis der Standesherru bildet einen Numerus clausus; er ist einer Erweiterung 
nicht mehr fähig ). 
Die Eigenschaft von hessischen Standesherrn besitzen ") nach der vorstehenden Definition 
die Familien der Fürsten: zu Menburg und Büdingen in Wächtersbach, zu Stolberg-Werni- 
gerode, zu Leiningen, zu Solms-Hohensolms-Lich, zu senburg und Büdingen in Birstein, 
zu Löwenstein-Wertheim-Rosenberg, zu Erbach-Schönberg, zu MRsenburg und Büdingen in 
Büdingen, zu Stolberg-Roßla in Roßla, zu Solms-Braunfels; ferner die Häuser der Grafen: 
zu Erbach-Erbach und von Wartenberg-Roth, von Schlitz genannt von Görtz, zu Erbach- 
Fürstenau, zu PRsenburg und Büdingen in Meerholz, zu Solms-Rödelheim, zu Solms- 
Laubach?). 
Die Rechtsverhältnisse der Standesherrn wurden, wenn, wie von der durch landesherr- 
liche Verordnung vom 1. Oktober 1806 (Archiv der großh. Gesetze usw. I, S. 21) verfügten. 
s. LV. II 1833 Beil B. I Nr. 146 S. 446 Antrag der Abg. Brunk, Diefenbach und Bansa auf 
Aufhebung des besonderen verfassungsmäßig nicht begründeten Huldigungseides; a. a. O. 
Nr. 157 S. 475 Ausschußbericht; Prot B. I S. 352 Verhandlung. Vgl. auch Waldecker, S. 40 ff. 
1) HV 108. Der Verfassungseid lautet: „Ich schwöre Treue dem Großherzoge, Gehorsam 
dem Gesetze und Beobachtung der Staatsverfassung.“ 
2) Vgl. Zeller, Handb. d. Verfassung u. Verwaltg. i. Gr. H. (1885 f.) 1 S. 23 
Anm. J. 
3) Vgl. Berchthold, Art. Standesherrn in Bluntschli und Brater, Deutsches Staats- 
wörterbuch Bd. X S. 163. 
4) Zu letzteren, den sogenannten standesherrlichen Personalisten, gehört das Haus der 
Grafen Schlitz, genannt v. Görtz; vgl. Heyer, Die Standesherrn des Großherzogtums Hessen 
und ihre Rechtsverhältnisse in Geschichte und Gegenwart (Gieß. Diss.), Darmstadt 1897. 
5) Vgl. Brater in Bluntschli u. Brater, StWB. I1 47. 
6) Siehe Hof= und Staatshandbuch d. Großh. H. 1912/13, S. 48 f. 
7) Der Graf zu Alt-Leiningen-Westerburg in Ilbenstadt, dessen Jugehbrigkeit zum standes- 
herrlichen Adel lange bestritten war, wurde durch ein im Jahre 1897 gemäß Art. 12 des Gesetzes, 
die Rechtsverhältnisse der Standesherrn des Großherzogtums betreffend, v. 18. Juli 1858 
gebildetes Austrägalgericht nicht als Standesherr anerkannt (vgl. Heyer, a. a. O. S. 95; 
Wehner, Die privatrechtliche Sonderstellung der hessischen Standesherrn, Gieß. Diss., 
Mainz 1903, S. 3 f.; Weyl, Die Standesherrnqualität der Grafen von Altleiningen-Wester- 
burg zu Ilbenstadt, Erlg. Diss., Gießen 1901, S. 2). Die gleiche Ansicht vertrat auch der im Jahre 
1887 mit dieser Frage befaßte Ausschuß der l. hessischen Kammer, während dagegen mehrere 
in den Jahren 1878—82 ergangene Entscheidungen der höchsten hessischen Gerichte die entgegen- 
gesetzte Meinung vertraten (Weyl S. 7). Der Gothaische Hofkalender v. 1910 (S. 153) führt 
das Haus Leiningen-Westerburg--Altleiningen unter den standesherrlichen Familien, bemerkt 
aber bezüglich des Grafen Friedrich Wiprecht Franz, des derzeitigen Inhabers der Standes- 
herrschaften Ilbenstadt, Westerburg und Schadeck, daß die diesen Standesherrschaften eingeräumten
	        
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