Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XIX. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (19)

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Hierher gehört z. B. das Unterrichtswesen, die Regelung des Verhältnisses zwischen Staat und 
Kirchen (vorbehaltlich bestimmter Ausnahmen zugunsten des Reichs), die Ordnung der Thron- 
folge, das Recht der Vornahme einfacher Gebietsveränderungen innerhalb des Reichsgebiets #). 
2. Bezüglich der Voraussetzungen desrechtswirksamen Abschlusses 
rechtlich zulässiger Staatsverträge ist in Kürze folgendes zu sagen: 
a) -Die Legitimation zum Abschlusse von Staatsverträgen, d. h. die Befugnis, 
den hessischen Staat bei der Ausübung seines Vertragsschließungsrechts zu vertreten, steht 
mangels einer ausdrücklichen anderweitigen Bestimmung des Reichsrechts oder des Landes- 
staatsrechts gemäß HV. Art. 4 ausschließlich und allein dem Großherzog zu. Dieser 
kann von seiner Vertretungsbefugnis in Person oder durch Stellvertreter Gebrauch machen. 
Diese Grundsätze gelten sowohl für den innerstaatlichen Verkehr, d. h. im Verhältnis zwischen 
dem Großherzog und anderen Staatsorganen, als auch für den völkerrechtlichen Verkehr Hessens, 
d. h. für den Verkehr Hessens mit anderen Staaten. 
b) Der Umfang des Vertragsschließungsrechts des Großherzogs 
bemißt sich im allgemeinen nach dem Umfang seiner Regierungsgewalt, oder anders ausge- 
drückt: Der Großherzog ist beim Abschluß von Staatsverträgen insoweit frei und von der 
Zustimmung oder Mitwirkung anderer Staatsorgane unabhängig, als es sich bei dem Abschlusse 
des Staatsvertrags nicht unmittelbar oder mittelbar um die Ausübung von Regierungsrechten 
handelt, bezüglich deren eine rechtliche Bindung des Landesherrn besteht. Der Großherzog 
würde also beispielsweise befugt sein, selbständig und allein mit einem anderen Staate zu 
vereinbaren, daß die vor dessen Behörden von hessischen Staatsangehörigen abgelegten Prü- 
fungen in Hessen anerkannt werden und umgekehrt. Ein derartiger Vertrag würde — unter 
der selbstverständlichen Voraussetzung des Nichtvorhandenseins entgegenstehender Gesetze — 
als Ausfluß des landesherrlichen Organisationsrechts in Hessen ohne weiteres rechtswirksam 
sein. Andererseits würde ein Staatsvertrag, durch den Hessen verpflichtet werden sollte, von 
seinen Staatsangehörigen Steuern von bestimmter Höhe zu erheben, zu seiner Gültigkeit 
der Zustimmung der beiden Kammern bedürfen, weil eine Steuererhebung in Hessen ohne 
ständische Genehmigung unzulässig ist. Der staatsrechtliche wirksame Abschluß eines Staats- 
vertrags ist also von der Erfüllung aller derjenigen Voraussetzungen abhängig, von welcher 
seine rechtliche Durchführbarkeit bedingt ist. Vor allem gilt dies beispielsweise von der Ein- 
holung der Zustimmung der Volksvertretung zu allen solchen Staatsverträgen, bei welchen 
es sich um Staatsakte handelt, deren Vornahme an die Form des Gesetzes geknüpft ist 2). 
Nach diesen aus dem prinzipiellen Verhältnis zwischen Staat, Krone und Volksvertretung 
abgeleiteten Grundsätzen bestimmt sich sowohl die staatsrechtliche als auch die völkerrechtliche 
Gültigkeit vom Großherzoge abgeschlossener Staatsverträge. Die Divergenz zwischen staats- 
rechtlicher und völkerrechtlicher Wirksamkeit eines Staatsvertrags, wie sie gemäß Art. 11 RV. 
nach deutschem Reichsstaatsrecht in Frage kommt, ist nach hessischem Staatsrecht unmöglich. 
Würde also beispielsweise ein der Zustimmung der Volksvertretung bedürftiger Staatsvertrag 
vom Großherzog — sei es mit, sei es ohne Vorbehalt der nachträglichen Genehmigung — 
abgeschlossen, so ist die Geltung dieses Vertrags nicht nur hinsichtlich seiner staatsrechtlichen 
Durchführbarkeit, sondern auch hinsichtlich seiner völkerrechtlichen Wirkungen durch die Er- 
teilung dieser Genehmigung suspensiv bedingt. Dabei kann ein rechtlicher Unterschied zwischen 
solchen Verträgen, „durch die ein der Gesetzgebung im formellen Sinne unterliegender Akt 
unmittelbar vorgenommen wird (z. B. Gebietsabtretung, Verzicht auf eine Forderung gegen 
einen anderen Staat oder auf Rechte)“ und solche, bei denen dies nicht der Fall ist, in der 
  
1) Ich verstehe unter „einfachen“ Gebietsveränderungen solche, durch welche keine wesent- 
lichen Hoheitsrechte oder Interessen des Reichs berührt werden. Im Gegensatz hierzu wären 
alle diejenigen Staatsverträge als „qualifizierte“, der Genehmigung des Reiches bedürftige 
Verträge zu bezeichnen, welche in irgendwie erheblicher Weise in die Rechts= oder Interessen- 
sphäre des Reichs eingreifen. Vgl. Seib S. 68—70 und die dort angeführte Literatur. 
2) Die Form des Gesetzes ist, wie an anderer Stelle erwähnt wurde, nicht nur für die 
Schaffung von Rechtssätzen (HV. Art. 72), sondern auch für die Vornahme einzelner besonders 
wichtiger Berwaltungsakte vorgeschrieben; so namentlich für die Veräußerung von Staatsdomänen, 
für Aufnahme von Staatsanleihen und für die Steuererhebung (H V. Art. 10, 78, 67).
	        
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