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Durch die am 13. Juni 1871 zwischen dem Großherzog von Hessen einerseits und dem
deutschen Kaiser und König von Preußen andererseits abgeschlossene Militärkonvention
(nebst Schlußprotokoll v. gl. T.) 1) erfuhren die Grundsätze der Reichsverfassung über das
Reichskriegswesen für Hessen in dem vorstehenden Sinne mehrfache wichtige Modifikationen.
Namentlich trat vom 1. Januar 1872 ab das gesammte, aus einer Division bestehende hessische
Kontingent in den Etat und in die Verwaltung der preußischen Armee (Art. 16). Bezüglich
der Kompetenzverteilung gelten hiernach im einzelnen — nach den begrifflich unterscheidbaren
Rechtskomplexen Kontingentsherrlichkeit, territoriale Militärhoheitsrechte und personale
Militärhoheitsrechte geschieden — folgende Grundsätze 2:
I. Was die Kontingentsherrlichkeit, d. h. die dem Großherzog als Kon-
tingentsherrn gegenüber dem hessischen Kontingente zustehenden Rechte betrifft ):
1. Die nach der RV. Art. 66 dem Kontingentsherrn zustehende Ernennung, Beförderung
und Versetzung der Offiziere, Fähnriche, Arzte und Militärbeamten des hessischen Kontingents
wurde vertragsmäßig dem Kaiser übertragen; dieser hat jedoch bei den Ernennungen usw.
den Wünschen des Kontingentsherrn tunlichst Rechnung zu tragen und läßt dem Großherzog
zu diesem Behufe durch den Kontingentskommandeur (d. i. den Kommandeur der hessischen
Division) rechtzeitig Vortrag erstatten. Die vom Kaiser ernannten Offiziere usw. des hessischen
Kontingents erhalten zugleich Patente vom Großherzog und führen für die Zeit ihrer Kon-
tingentsangehörigkeit das Prädikat „Großherzoglich“, stehen jedoch im Verbande der preußischen
Armee. Sie leisten den Fahnen= bzw. Beamteneid dem Kaiser, verpflichten sich aber zugleich
mittelst Reverses, das Wohl des Großherzogs zu fördern und Schaden und Nachteile von
ihm, seinem Hause und seinem Lande abzuwenden (MK. Art. 4, Sch P. Art. 1). Die Uni-
formierung, Uniformabzeichen und Bewaffnung der Offiziere usw. blieben von deren Auf-
nahme in den preußischen Armeeverband zunächst unberührt, wurden aber durch den Großherzog
unter Annäherung an die preußischen Muster entsprechend abgeändert. Schärpe, Portepée usw.
zeigen die hessischen Landesfarben (MK. Art. 5); auf dem Helm wird der hessische Wappen-
löwe getragen, Helm und Müntze zeigen neben der an Stelle der preußischen Kokarde getretenen
Reichskokarde (s. kaiserl. Anordnung vom 22. III. 1897)/) die hessische Landeskokarde.
2. Das hessische Kontingent bleibt in Hessen in Garnison. Der Kaiser macht von seinem
Dislokationsrecht in Ansehung des hessischen Kontingentes nur im Vernehmen mit dem Groß-
herzog und nur ausnahmsweise und vorübergehend Gebrauch (Art. 6).
3. Der Großherzog übt „als Chef der dem Großherzogtum angehörenden Truppenteile"
neben den bezüglichen Ehrenrechten die einem kommandierenden General zustehende Disziplinar-
gewalt aus und erläßt in dieser Beziehung seine Befehle direkt an die betreffenden Stellen (Art. 7).
4. Die Militärgerichtsbarkeit über die Kontingentsangehörigen wird nach Maßgabe
der Reichsmilitärstrafgerichtsordnung 5) von den zuständigen Organen der hessischen Divi-
sion ausgeübt 6). Das Recht der Begnadigung wird, sofern es sich um Offiziere, Mannschaften,
Arzte und Militärbeamte des hessischen Kontingents handelt, und soweit sich diese im Besitze
der hessischen Staatsangehörigkeit befinden, im Falle der Verurteilung wegen nicht-
militärischer Verbrechen durch den Kaiser in Gemeinschaft mit dem Großherzog ausgeübt;
bei Verurteilung wegen militärischer Vergehen steht die Ausübung des Begnadigungsrechts
dem Kaiser ausschließlich zu (Art. 14).
1) Siehe Bek. v. 25. IX. 1871, RBl. S. 341; bezüglich der späteren Ergänzungen und
Anderungen vgl. Glock u. Lehr S. 186 f.; van Calker S. 174 ff.
2) Hinsichtlich der Gruppierung der militärischen Hoheitsrechte folge ich, ebenso wie Werner
in seiner vorgenannten Abhandlung, der Systematik des Freiherrn v. Stengel in dessen
Aufsatze „Die Sonderstellung Bayerns in militärischer Beziehung", Beilage zur „Allgemeinen
Zeitung“ 1897 Nr. 289.
3) Bgal. Werner S. 57—94.
4) Siehe Arndt, StR., S. 480 f.
5) Siehe Werner S. 81 ff.
60) Vgl. Reichsmilitärstrafgerichtsordnung v. 1. XlI. 1898, 12 ff., bezüglich der Be-
stätigung der militärgerichtlichen Urteile s. §S 416—418 u. MK. Art. 14. Bezüglich der militär-
gerichtlichen Verhältnisse des Großh. Gendarmeriekorps s. Bek. d. Min. d. Innern vom 17. Juli
1911, RBl. S. 248.