304 Das Rechtsverhältnis zwischen dem Staat und den Religionsgemeinschaften. 8 117
IV. Das Verhältnis der Altkatholiken zum Staat. Die staatskirchenrechtliche
Stellung der Altkatholiken ist nicht klar geregelt. Sie werden bald als Katholiken angesehen ½),
bald als besondere Religionsgesellschaft behandelt 2). Die einzige territoriale Organisation
bilden die von dem altkatholischen Bischof mit Genehmigung der Regierung errichteten
Pfarreien; über ihnen steht die Gesamtorganisation der deutschen Altkatholiken, d. i. die nach
Maßgabe der altkatholischen Synodal- und Gemeindeordnung von 1873 gebildete altkatholische
Synode, die Synodalrepräsentanz und der von der ersteren gewählte Bischof.
V. Die staatskirchenrechtliche Stellung derisraelitischen Religionsgemein-
schafts). Eine umfassende gesetzliche Regelung der Rechtsverhältnisse der israelitischen
Religionsgemeinden und der Gesamtheit der Israeliten des Landes ist bisher nicht erfolgt #).
Alle im Staatsgebiete wohnhaften Israeliten gehören, gleichgültig, ob sie aus der Religions=
gemeinde ihres Wohnorts ausgetreten oder überhaupt keiner Gemeinde angeschlossen sind,
zu der „isruelitischen Religionsgemeinschaft“; nur der Austritt aus dem
Judentum selbst bewirkt die Auflösung der Zugehörigkeit zu jener Gemeinschaft 5). Der
israelitischen Religionsgemeinschaft als solcher fehlt eine einheitliche Organisation; dagegen
sind die in den beiden alten Provinzen (Oberhessen und Starkenburg) wohnenden Juden
in zwei „Landjudenschaften" zusammengefaßt, welche unter Oberaufsicht des Staates
gewisse öffentlichrechtliche Zwangsbefugnisse, namentlich das Besteuerungsrecht, gegenüber
ihren Religionsgenossen ausüben und als öffentliche Korporationen anzusehen sind "). Die
lokalen Vereinigungen der Israeliten zerfallen in die staatlich anerkannten „israelitischen
Religionsgemeinden“" (im engeren Sinne) und in die vielfach neben denselben
bestehenden, zufolge VO. v. 2. November 1841 der staatlichen Anerkennung entbehrenden
„i fraelitischen Religionsgesellschaften“". Während die ersteren trotz der
fehlenden ausdrücklichen staatlichen Verleihung auf Grund der geschichtlichen Entwicklung
als öffentlichrechtliche Korporationen zu betrachten sind 7), gelten die letzteren regelmäßig
als Privatvereine oder als Sekten 3).
An der Spitze jeder Religionsgemeinde steht ein gewählter kollegialiter entscheidender
Vorstande); je mehrere Religionsgemeinden werden zu Rabbinatssprengeln
oder Rabbinatsbezirken zusammengefaßt diese bilden jedoch keine Selbstverwaltungs-
körper 10). Die Rabbiner werden vom Großherzog ernannt („Großherzogliche Rabbiner"),
haben indessen nicht die Eigenschaft von Staatsbeamten 11).
Soweit besondere gesetzliche Vorschriften fehlen, wird von den Staatsbehörden nach
Herkommen und freiem Verwaltungsermessen verfügt 12).
1) Vgl. Großh. Entschl. v. 15. Dezember 1873, Schmidt S. 76 f., und ME., betr. die
landesherrliche Anerkennung des Bischofs Dr. Joseph. Hubert Reinkens als katholischen Bischofs,
v. 23. Dezember 1873 (a. gl. O.). Bgl. auch Nl. 1912 Beiu. S. 294 betr. Weihbischof Dr. Moog.
2) Vgl. van Calker, Hess. Verf G. S. 55 f. und die dortigen Literaturangaben.
3) Vgll. Katz, Die rechtliche Stellung der Israeliten nach dem Staatskirchenrecht des
Gr. H., Gieß. Diss. 1906; Ruppin, Die Juden i. Gr. H., Berlin 1909; Berliner, Die
7 Stellg. der israelit. Religionsgeemeinden und sonstg. israellt. Religionsverbände
Süddeutschlands, Gieß. Diss. 1912.
4) Vgl. den unerledigt gebliebenen Re ierungsentwur, die Verassun und Berwaltung
der israelitischen Religionsgemeinden betr., # 1905/8, Drucks. B 2 Kr. 246 S. 1—68;
s. namentlich die Begründung S. 37 ff.
5) So richtig unter Hinweis auf die beiden oben (S. 301) alegierten Gesetze vom 10. Sept.
1878 die Begründung zu dem vorbez. Gesetzentwurf, a. a. O. S. 41.
i886, 69. Katz, S. II ff.; Rosin, Das Recht der öffentlichen Genossenschaft, Freiburg
7) Der Entwurf beabsichtigt, diesen Zustand zu legalisieren, s. S. 41 a O.
8) Siehe Entwurf zu Nrt. 3 , S. 41; Braun u. Weber B. II S. 563. *1# c4 21 ff.
9) Siehe Katz S. 32 ff.
10) Katz S. 18.
11) Siehe Katz S. 55 und die dort ange führte Literatur und Rechtsprechung.
12) Siehe Entw. Begr. S. 38.