8 12 Die besonderen Klassen unter den hessischen Staatsangehörigen. 21
a) Die Häupter der fürstlichen standesherrlichen Häuser haben gegenüber den groß-
herzoglichen Behörden den Anspruch auf das Prädikat „Durchlaucht“, die der gräflichen Häuser
auf das Prädikat „Erlaucht“; außerdem steht ihnen ein entsprechendes Kanzleizeremoniell
zu. (Bundesbeschlüsse vom 18. August 1825 und vom 13. Februar 1829; Ministerialaus-
schreiben vom 12. November 1807, Eigenbrodt I. S. 226; Gesetz von 1858 Art. 3 u. 6) 1).
Die Nachgeborenen der standesherrlichen Fürstenhäuser werden herkömmlicherweise als
„Prinzen“ und „Prinzessinnen“ bezeichnet; auch wird ihnen gegenüber gewohnheitsmäßig
das Prädikat „Durchlaucht“ angewandt 2). Bezüglich der Angehörigen des Hauses Solms-
Hohensolms--Lich gründet sich die letztere Ubung insbesondere auch auf die Tatsache, daß den
Mitgliedern dieses Hauses jener Titel für Preußen durch allerhöchste Kabinettsorder vom
3. März 1833 ausdrücklich zuerkannt wurde.
b) Die Standesherrn können zur Verwaltung ihrer Güter, Einkünfte und Waldungen
standesherrliche Einzelbeamte wie Rentamtmänner, Kammerdirektoren, Förster usw. ernennen
und kollegialisch vereinigte Verwaltungsbehörden bilden. Ferner sind sie befugt, die an ihren
Höfen früher üblich gewesenen Hofwürden und Titel zu erteilen usw. (Gesetz von 1858 Art. 37 f).
III. Der niedere Adels).
Zum niederen Adel gehören alle diejenigen Adeligen, welche nicht Mitglieder des hohen
Adels, d. h. nicht Angehörige einer regierenden Familie oder eines standesherrlichen Hauses
sind. Er besteht also hauptsächlich aus den Mitgliedern der ehemaligen Reichsritterschaft,
der landsässigen Ritterschaft und des städtischen Patriziats, sowie aus den durch landesherr-
liche Verleihung in den Adelstand eingetretenen und eintretenden Familien oder Individuen .
Die Art des Adelstitels (Fürst, Graf, Freiherr usw.) ist für die Unterscheidung zwischen hohem
und niederem Adel ohne Bedeutung. Die Adelsprädikate gelten nach hessischem Recht, wie
sich aus AG. z. BGB. Art. 3 u. 122 ergibt, nicht als Bestandteil des Namens, sondern als
Zeichen eines besonderen Standes, dessen Mitgliedschaft sich nach öffentlichem Rechte be-
stimmt 5).
Die Mitglieder der ehemaligen Reichsritterschaft und die adeligen Gerichtsherrn be-
saßen ursprünglich eine Reihe von bedeutsamen Vorrechten, wie Patrimonialgerichtsbarkeit
Autonomie u. a. Durch das Gesetz vom 7. August 1848 wurden diese Privilegien durchweg
und für immer beseitigt. Das einzige, heute noch bestehende Vorrecht des niederen Adels
ist das Recht der Wahl von zwei Vertretern zur I. Kammer, welches indessen nicht dem ge-
samten niederen Adel, sondern nur dem „i n dem Großherzogtum genügend mit Grundeigen-
tum angesessenen Adel“ zukommt (val. LstG. Art. 2 Ziff. 8; Art. 5).
Eine bevorzugte Sonderstellung nimmt die Familieder Freiherrn Riedesel
zu Eisenbach ein, insofern als ihr Senior geborenes Mitglied der I. Kammer ist. Dieses-
Vorrecht beruht darauf, daß sie bereits in altständischer Zeit die Erbmarsehallswürde in Hessen
besaß und unter allen reichsritterschaftlichen Familien das größte Gebiet hatte (s. Cosack
S. 17).
1) Bgl. Heyer S. 19, 96; Rehm, Prädikat= und Titelrecht der deutschen Standes-
herrn, München 1905.
2) Bgl. Frhr. v. Dungern, Problem der Ebenbürtigkeit, München 1905, S. 123.
3) Vgl. Bluntschli i. Deutsch. Staatswörterbuch I, S. 37 ff.; s. auch Weiß S. 332.
4) Bezüglich des Erwerbs des (niederen) Adels durch Ehelichkeitserklärung und durch An-
nahme an Kindes Statt s. AG. z. BGB. Art. 122; Best, Hess. Ausführungsgesetze Abt. II
Mainz 1900, S. 92.
5) Siehe Sartorius, Personenstandsgesetz, München 1902, S. 195, 196.