l 13 Die Thronfolgeordnung. 25
samthaus Hessen" 1) bildenden Hauptlinie Hessen = Kassel, und zwar nach dem für die
Hessen-Kasselsche Linie im Jahre 1627 eingeführten Primogenitursystem und den sogenannten
Hauptvergleichen zwischen Kassel und Darmstadt aus den Jahren 1627 und 1648 2). Hiernach
gilt innerhalb des Hauses Hessen-Kassel nachstehende Reihenfolge der Speziallinien: a) Hessen-
Rumpenheim, b) Hessen-Philippsthal; innerhalb des letzten Hauses ist zunächst die Linie
Philippsthal-Philippsthal, dann die Linie Philippsthal-Barchfeld zum Throne berufen.
Die Frage, ob die Thronanwartschaft des Hauses Hessen-Kassel hier mit Recht auf die
bestehende Erbverbrüderung gestützt wird, oder ob sie nicht vielleicht richtiger auf
Verwandtschaft zurückzuführen ist, bedarf allerdings noch einer näheren Erörterung.
Eine Reihe von Schriftstellern, insbesondere Weiß (S. 205 f., 215), Gareis (S. 57)
und Küchler (Braun und Weberzstützen jene Thronanwartschaft auf Verwandt-
schaft. Dagegen rechnet Cosack (S. 10) die Agnaten des Hauses Hessen-Kassel zu den
durch Erbverbrüderung zur Nachfolge berechtigten Prinzen; er fügt indessen bei,
diese Prinzen seien zufolge ihrer Abstammung von Philipp dem Großmütigen, der bereits
im Besitze der darmstädtischen Stammlande gewesen sei, auch ohne die Erbverbrüderung
zur Thronfolge berechtigt. Was ist nun das Entscheidende? Die Verwandtschaft oder die
Erbverbrüderung?
Die Verwandtschaft der Häuser Hessen-Darmstadt und Hessen-Kassel vermöchte
für sich allein das Erbfolgerecht des letztgenannten Hauses jedenfalls nicht zu begründen.
Vor allem um deswillen nicht, weil nach den Grundsätzen des gemeinen deutschen Privat-
fürstenrechts unter den Begriff der Verwandtschaft im Sinne des Art. 5 überhaupt nur die
aus dem regierenden Hause — das wäre hier das Haus Hessen-Darmstadt — hervorgegangenen
Agnaten fallen 3). Diesem Grundsatze scheint allerdings die heutige Gesetzessprache in Hessen
zu widersprechen: In dem hessischen Verfassungsgesetze vom 12. Juli 1902 zur Ausführung
des Art. 5 des Regentschaftsgesetzes vom 26. März 1902 ist (wie aus der Begründung des
Gesetzes hervorgeht) von einem Mitgliede des Hauses Hessen--Kassel als von einem „Agnat
des Gesamthauses Hessen“" die Rede. Hiernach müßte es als zulässig angesehen
werden, den Ausdruck „Verwandtschaft“ in Art. 5 auch auf die Angehörigen des
Hauses Hessen-Kassel zu beziehen. Allein man kann aus der einmaligen Anwendung einer
bestimmten, von der Norm abweichenden Ausdrucksweise nicht die Absicht des Gesetzgebers
folgern, damit eine neue Norm aufzustellen. Die Tatsache, daß der Gesetzgeber im Jahre
1902 von einer auf Verwandtschaft („Agnat") beruhenden Thronanwartschaft des Gesamt-
hauses Hessen spricht, gestattet keinen Rückschluß auf die ursprüngliche rechtliche Grundlage
jenes Anspruchs. Die historische Grundlage jener Thronanwartschaft ist aber das vom Kaiser
bestätigte Testament Philipps des Großmütigen vom 6. April 1562 und
die in Form einer kaiserlichen Samtbelehnung konfirmierte Erbverbrüderung der vier eben-
bürtigen Söhne Philipps vom 28. Mai 1568 (der sogenannte Ziegenhainer Erb-
und Brüdervertrag) #y). Erst durch diese Akte wurde die bisherige, auf Ver-
trag und Gesamtbelehnung beruhende Erbberechtigung aller agnatischen Abkommen der
genannten vier Fürsten auf den ganzen damaligen und zukünftigen Besitzstand Hessens in
eine als Folge der Abstammung erscheinende Erbberechtigung, also in eine Erbfolge nach
Geblütsrecht, verwandelt 5).
b) Die sukzessionsfähigen Agnaten des Gesamthauses Sachsen.
Diese Erbberechtigung beruht in erster Linie auf der oben erwähnten Erbverbrüderung
zwischen Hessen, Meißen und Thüringen vom 9. Juni 1373 (abgedruckt Beck II, S. 12,
Schulze II, S. 36), welche in den folgenden Jahrhunderten mehrfach erneuert, ergänzt
1) Vgl. Gesetz vom 12. Juli 1902, zur Ausführung des Art. 5 des Gesetzes, die Regentschaft
betr., vom 26. März 1902 (NBl. S. 291), Art. 1.
2) Vgl. Weiß S. 37 u. 214; Beck II S. 153 ff.; Schulze II 101, 107, 111.
3) Vgl. im allgemeinen Rehm, F. R., S. 96 ff.; s. auch Otto Mayer, sächs. St R. S. 55 ff.
4) Beck, a. a. O. II S. 86 ff.; namentlich die Einleitung und § 4 des Vertrags.
5) Vgl. die eingehenden Ausführungen bei Pagenstecher, Die Thronfolge i. Großh.
Hessen, Gießener Diss. 1898, S. 14—16, 29 und 31, sowie Löning a. a. O. S. 3, 25, 26.