34 Die Organisation des Staates. Der Großherzog und das Großherzogliche Haus. § 16
werden (Art. 61). Die beiden übrigen Domänendrittel erhielten die Eigenschaft eines un-
veräußerlichen schuldenfreien Familieneigentums des Großherzoglichen Hauses mit der Be-
stimmung, mittels der aus ihnen zu ziehenden Einkünfte dauernd zur Bestreitung der Staats-
ausgaben, und zwar insbesondere der zu den Bedürfnissen des Großherzoglichen Hauses und
Hofes erforderlichen Summen zu dienen. Damit die bezeichneten Einkünfte dauernd dieser
Zweckbestimmung erhalten bleiben, ist nicht nur die Veräußerung, sondern auch schon die
bloße Verhypothekierung dieses Familiengutes grundsätzlich verboten. Die Verhypothekierung
kann jedoch von den Ständen gestattet werden; auch das Veräußerungsverbot erleidet insofern
eine Einschränkung, als es sich nicht auf solche Veräußerungen bezieht, die als Staats= oder
Regierungshandlungen mit außerhessischen Staaten erscheinen, und als darunter nicht ein-
begriffen sind „der Verkauf entbehrlicher Gebäude, der in andern Staaten gelegenen Güter
und Einkünfte, die Vergleiche zur Beendigung von Rechtsstreitigkeiten, die bloßen Aus-
tauschungen und die Ablösung des Lehns= und Erbleihverbands, der Grundzinsen und der
Dienste“. In allen diesen Fällen ist aber den Ständen eine Berechnung „über den Erlös und
dessen 2) Wiederverwendung zum Grundstocke"“ vorzulegen (HV. Art. 7 u. 9). Durch Land-
tagsbeschlüsse des 31., 32. und 33. Landtags wurde die Regierung ferner generell ermächtigt,
„landwirtschaftlich benutzte, zerstreut liegende, d. h. nicht zu Hofgütern gehörige kameral-
fiskalische Grundstücke, welche dem Familieneigentum des Großherzoglichen Hauses angehören,
allgemein ohne nähere Bestimmung der einzelnen Gemarkungen und Parzellen zu veräußern
unter der Bedingung, daß den Ständen alljährlich ein Verzeichnis der hiernach veräußerten
Grundstücke vorgelegt wird 3). Die Verwaltung der beiden letztgenannten Domänendrittel
steht, ebenso wie die Nutzung, dem Staate zu. Die Einkünfte dieses Familiengutes sind ge-
sondert zu verrechnen und im Staatshaushaltsetat aufzuführen; „die zu den Bedürfnissen
des Großherzoglichen Hauses und Hofes erforderlichen Summen sind darauf vorzugs-
weise radiziert“ (Art. 7 Abs. II) .
Hiernach stehen dem Großherzog bzw. dem Großherzoglichen Hause gegenüber dem
Kammergute — soweit dasselbe bei der Domänenauseinandersetzung nicht gemäß Art. 6 HV.
an den Staat überging — folgende Rechte zu:
a) Das Kammergut ist „schuldenfreies, unveräußerliches Familieneigentum des Groß-
herzoglichen Hauses“; damit ist gesagt, daß das Kammervermögen solange fideikommissarisches
Eigentum der Großherzoglichen Familie bildet, als diese in Wahrheit „Großherzogliche Familie“
ist, d. h. die Eigenschaft der regierenden Familie besitzt 5). Der Ausdruck „Großherzogliches
Haus“ bedeutet demnach in Art. 7 HV. das gleiche wie in Art. 5 (s. oben S. 22), nämlich „das
Haus des jeweiligen Großherzogs“ 6). Aus diesem Eigentumsrecht der großherzoglichen Familie
geht hervor, daß zu einer Veräußerung der Domänen neben der unter den Bedingungen einer
Verfassungsänderung stehenden Genehmigung der Stände sowohl die Zustimmung des Groß-
herzogs, als auch die Genehmigung der Agnaten des Großherzoglichen Hauses erforderlich ist 7).
1) Die Ausscheidung des zur Veräußerung bestimmten Domänendrittels wurde im Jahre
1841 beendigt. S. Landtagsabschied v. 11. I. 1841, § 25 (RBl. S. 28).
2) Aus dieser Fassung des Art. 9 Abs. III geht zweifelfrei hervor, daß der ganze Erlös zum
Wiederankauf von Grundstücken zu verwenden ist. Es wäre also beispielsweise unzulässig, an
Stelle eines veräußerten Grundstücks ein Grundstück von gleichem Flächeninhalt, aber geringerem
Werte zu kaufen und die Differenz anderweitig zu verwenden.
3) Siehe L V. II 1905/8 Drucks. B. 1 Nr. 107 S. 1: vgl. auch Drucks. Nr. 108.
4) Im Staatsvoranschlag sind unter „Domänen des Großh. Hauses“ regelmäßig folgende
Posten ausfgeführt: 1. Kameral= und Forstdomänen (getrennt), 2. Weinbaudomänen, 3. Holz-
magazin zu Darmstadt, 4. Kapitalzinsen und Sonstiges.
5) Vgl. Rehm, FR., S. 228 ff. u. besonders S. 331 in zutreffender Polemik gegen Cosack
S. 5, nach dessen Ansicht das Großh. Haus, falls es des hess. Thrones verlustig gehen sollte, berechtigt.
ist, Herausgabe der Domänen zu fordern. — Eine Bestätigung der oben vertretenen Ansicht
ergibt sich auch aus der analogen, aber präziseren Bestimmung der bad. Verf. § 59 I.
6) Siehe S. 22 Anm. 2.
7) Auch die Verwandlung der Domänen in Staatsgut ist vom Standpunkte der Großh.
Familie aus eine „Veräußerung“; es ist daher m. E. nicht zutreffend, wenn Rehm S. 333
(sub IV B) eine Zustimmung der Agnaten hier nicht für erforderlich hält.