8 16 Die Vermögensrechte des Großherzogs.
35
Unrichtig ist es allerdings — wie Cosack S. 5 dies tut —, hieraus ein Vindikations-
recht des Großherzoglichen Hauses „auch gegenüber eindringenden Feinden" abzuleiten: Das
hessische Staatsrecht, welchem der Grundsatz des Art. 7 HV. angehört, dauert nur so lange,
als der hessische Staat besteht; ist ein eindringender Feind einmal soweit gekommen, über-
haupt an Gebietserwerb denken zu können, so hat er zweifellos auch die Macht und das Recht,
der landesherrlichen Familie — mag ihr nun der Charakter einer „regierenden“ Familie ver-
bleiben oder nicht — nicht nur die Nutzung, sondern auch das Eigentum an den Domänen
zu entziehen 1). Dagegen ist als eine weitere Rechtsfolge des Domäneneigentums der Groß-
herzoglichen Familie der Grundsatz anzuerkennen, daß sich die Staatsgläubiger nicht an die
Substanz der Domänen halten können 2).
b) Der Großherzog hat in seiner Eigenschaft als Staatsoberhaupt gegenüber dem
Staate einen persönlichen Anspruch auf „die zu den Bedürfnissen des Großherzoglichen Hauses
und Hofes erforderlichen Summen“. Der Gesamtbetrag dieser Summen ist, da er sich nach
den „Bedürfnissen“ bemißt, der Natur der Sache nach von wechselnder Höhe. Seine Fest-
stellung erfolgt, da die Regierung mit Rücksicht auf das Steuerbewilligungsrecht der Stände
(Art. 67) nicht in der Lage ist, die Staatsausgaben völlig selbständig festzusetzen, im Wege der
Vereinbarung zwischen Regierung und Landständen. 3) Die Volksvertretung ist jedoch bei
der Bemessung dieses Ausgabepostens in zwei Richtungen gebunden: einerseits ist sie, da die
Dotierung des Großherzogs zufolge Art. 7 Abs. 2 HV. eine dem Grunde nach gesetzlich fest-
stehende Ausgabe ist, nicht befugt, den fraglichen Posten überhaupt abzulehnen; zum
andern ist sie, was die Höhe dieser Ausgabe anlangt, verpflichtet, so viel zu bewilligen, als
nach ihrem pflichtmäßigen Ermessen notwendig ist, um den Bedürfnissen des Großherzog-
lichen Hauses und Hofes zu genügen 41). Selbstverständlich ist auch die Regierung hinsichtlich
der Höhe ihrer Anforderung nicht ungebunden: Sie darf nicht mehr verlangen, als sie im
Sinne des Art. 7 Abs. 2 für „erforderlich“ hält, und sie ist verpflichtet, den Ständen dieses
Bedürfnis gemäß Art. 68 Abs. 2 nachzuweisen. Hieraus ergibt sich, daß weder die Regierung
noch die Stände befugt sind, bei der Feststellung dieses Ausgabepostens die Höhe der jeweiligen
Kammereinkünfte zugrunde zu legen und hiernach etwa eine Erhöhung oder Herabsetzung
der Summe zu verlangen. Zwischen der Höhe der Kammereinkünfte und der Höhe der staat-
lichen Leistungen an den Großherzog besteht nicht die geringste rechtliche Beziehung. Der
Ausdruck, daß die fraglichen Summen auf die Einkünfte dieses Familienguts „vorzugsweise
radiziert“ sind, hat nur die eine Bedeutung, daß die letzteren für andere Staatsausgaben erst
dann verfügbar sind, wenn sie ihrer primären Bestimmung genügt haben 5). Die sogenannte
Radizierung wirkt also ähnlich, wie die in neuerer Zeit häufiger vorkommende Vinkulierung
bestimmter zukünftiger Staatseinnahmen zugunsten bestimmter zukünftiger Ausgaben; vygl.
z. B. Gesetz, die Bildung eines Ausgleichsfonds betr. vom 26. März 1904, Art. 1—3 (RVBl.
S. 10). Ihren praktischen Ausdruck findet die geschilderte Radizierung der Zivilliste in dem
1) Die Anschauung Cosacks (S. 6), daß der Großherzog von Hessen im Jahre 1866 bei
der Abtretung der hessischen Hinterlande an Preußen das Eigentum der dort belegenen Domänen
als ein Privatrecht der Großh. Familie von der Abtretung hätte ausschließen können, „während
er die Nutzung der Domänen nach Kriegsrecht unweigerlich an Preußen überlassen mußte“,
sindet zer E. weder im Staats-, noch im Völkerrecht ihre Begründung. Gegen Cosack s. Rehm
u 331 f.
2) So Cosack S. 5 u. übereinstimmend Rehm S. 332.
3) Vgl. über die einschlägigen budgetrechtlichen Fragen unten 3 80.
4) Zu den „Bedürfnissen des Großh. Hauses und Hofes“ gehört auch die standesgemäße
Sustentierung der Mitglieder des Großh. Hauses. Diese Sustentierung kann entweder im
Rahmen der Zivilliste erfolgen, so daß es dem Großherzog überlassen bleibt, selbst zu bestimmen,
welcher Teil der Zivilliste zu diesem Zwecke verwendet werden soll, oder sie kann durch Bewilligung
einer besonderen Apanage (Aussteuer usw.) unmittelbar aus der Staatskasse gewährt werden.
In beiden Fällen ist sowohl die Notwendigkeit wie die Höhe dieses Aufwandes eine Tatfrage,
bei deren Beurteilung sich Landesherr und Landstände vollkommen gleichberechtigt gegenüber-
stehen. — Bezüglich der Wirkung der Ziodvillisten-Festsetzung s. HV. Art. 70.
5) Nach Cosack S. 8 bedeutet die Radizierung nur „eine Anweisung der Zidvilliste auf die
Domäneneinkünfte, welche etwa die Wirkung einer Revenuenhypothek hat“.
3*