Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XIX. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (19)

46 Die Organisation des Staates. Die Volklsvertretung. 522 
  
  
9. Vom Großberzog auf Lebenszeit ernannte Mitglieder, welche die unter Ziff. 4 ge- 
nannten Voraussetzungen erfüllen. Diese Ernennungen sollen jedoch nicht über die Zahl von 
12 Mitgliedern ausgedehnt werden 1). 
10. Ein Vertreter des Handels und der Industrie, ein Vertreter der Landwirtschaft 
und ein Vertreter des Handwerks, die der Großherzog auf Vorschlag der gesetzlich eingerichteten 
Berufskörperschaften auf die Dauer des Landtags beruft. Sie müssen ebenfalls den unter 
lit. d genannten Voraussetzungen genügen. Die Vorschläge der berufsständischen Vertreter 
erfolgen durch den Handelskammertag, die Landwirtschaftskammer und die Handwerkskammer 
je aus der Zahl der zu der betreffenden Beruf-körperschaft wählbaren Personen und sollen 
je die dreifache Zahl der zu ernennenden Personen enthalten. Tritt einer der Ernannten 
in die I. Kammer nicht ein, oder scheidet er während der Dauer des Landtags aus ihr aus, so 
kann von der Anordnung einer Ergänzung der Vorschlagsliste für die Ernennung eines anderen 
Mitglieds abgesehen werden ?). 
II. Für sämtliche vorgenannte Personenkategorien gilt die Bestimmung, daß sie nicht 
Mitglied der I. Kammer werden oder bleiben können, wenn sie bereits Mitglied der II. Kammer 
sind (Art. 13), oder wenn einer der in Art. 7 Ziff. 1—8 LstG. genannten, den Ausschluß von 
der Stimmberechtigung bewirkenden Gründe bei ihnen vorliegt. Der in Art. 7 Z. 9 genannte 
Ausschließungsgrund kommt nur bei der Wahl der Vertreter des grundangesessenen Adels 
in Betracht. Nach Art. 7 Z. 1—9 sind vom Stimmrecht ausgeschlossen: 
1. Personen, die unter Vormundschaft oder wegen geistiger oder körperlicher Gebrechen 
unter Pflegschaft stehen; 
2. Personen, über deren Vermögen der Konkurs eröffnet worden ist, während der 
Dauer des Konkursverfahrens; 
3. Personen, die zu Zuchthausstrafe verurteilt worden sind, von der Rechtskraft des 
Urteils an bis zum Ablaufe von fünf Jahren nach der Verbüßung, der Verjährung oder dem 
Erlasse der Strafe; 
4. Personen, denen durch rechtskräftiges Urteil die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt 
worden sind, oder gegen die durch rechtskräftiges Urteil auf die Unfähigkeit zur Bekleidung 
öffentlicher Amter erkannt worden ist, während der Dauer dieses Verlustes; 
5. Personen, gegen die durch rechtskräftiges Urteil auf Verlust der bekleideten öffent- 
lichen Amter, sowie der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte erkannt worden ist, 
von der Rechtskraft des Urteils an bis zum Ablaufe von fünf Jahren nach der Verbüßung, der 
Verjährung oder dem Erlasse der Freiheitsstrafe, neben der jener Verlust ausgesprochen wurde; 
6. Personen, die unter Polizeiaufsicht stehen; 
7. Personen, gegen die durch rechtskräftiges Urteil auf Überweisung an die Landes- 
polizeibehörde erkannt worden ist, von der Rechtskraft des Urteils an bis zum Ablaufe von 
fünf Jahren nach der Verbüßung, der Verjährung oder dem Erlasse der Freiheitsstrafe, neben 
der die Überweisung ausgesprochen wurde; 
1) Die in der Theorie (ovgl. Meyer-Anschütz S. 309) bestrittene Frage, ob ein vom 
Landesherrn auf Lebenszeit berufenes Mitglied auf die Mitgliedschaft verzichten kann, wird 
in Hessen in der Praxis bejaht. — Das „sollen“ bedeutet weniger als ein „müssen“, ist aber 
gleichwohl keine „Sollvorschrift“ in dem modernen juristischen Sinn des Wortes; denn eine an 
den Landesherrn sich richtende instruktionelle Vorschrift wäre ein Ding der Unmöglichkeit. Das 
Wort „sollen“ bringt hier vielmehr lediglich ein Versprechen des Landesherrn zum Aus- 
druck, nicht mehr als 12 Mitglieder zur I. Kammer ernennen zu wollen. Besonders deutlich geht 
dies aus der Fassung hervor, welche diesem Gedanken in dem landständischen Edikt vom 18. III. 
1820 Art. 2 Z. 7 (RBl. S. 101) gegeben wurde, wo es heißt: „Wir werden diese Ernennungen 
nicht über die Zahl von zehn Mitgliedern ausdehnen.“ Besondere Bedeutung gewinnt diese Aus- 
legung angesichts des Art. 1 des Gesetzes über die Verantwortlichkeit der Minister usw. vom 
5. VII. 1821 (RBl. S. 387), wonach die Minister usw. die Verantwortung für „Nichterfüllung 
der Zusagen der Regenten an die Stände des Großherzogtums“ zu tragen haben. 
2) Lst G. Art. 2 Z. 10, Art. 18. — Aus welchem Grunde das Ausscheiden erfolgen kann, 
wird vom Gesetze nicht ausdrücklich gesagt. Demnach ist auch Verzicht auf die Mitgliedschaft 
zulässig. Vgl. vorige Anmerkung.
	        
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