Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XIX. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (19)

8 24 Die organischen Zuständigkeiten der Kammern. 53 
  
im allgemeinen auf der Grundlage erfolgt, daß dem Landtage ein generelles, be— 
stimmendes Mitwirkungsrecht nur auf dem Gebiete der Rechtssetzung zusteht, 
daß er dagegen auf dem Gebiete der Verwaltung ein solches Mitwirkungsrecht nur be- 
züglich einiger im Gesetze ausdrücklich genannter Angelegenheiten besitzt, während er endlich 
auf dem Gebiete der Rechtspflege überhaupt nicht tätig zu werden hat. 
Das Mitwirkungsrecht des Landtags ist regelmäßig dergestalt, daß als der eigentlich 
handelnde Faktor die Regierung erscheint, während die Stände nur „mit'wirken; nur 
in Ausnahmefällen kann der Landtag auch selbständig für sich allein tätig werden #). 
Im einzelnen sind folgende Zuständigkeiten zu nennen: 
I. Die Mitwirkung der Landstände bei der Rechtsetzung. Be- 
züglich dieser vornehmsten aller landständischen Zuständigkeiten, die in Art. 72 HV. ihre 
Grundlage hat, siehe unten § 642). 
II. Auf dem Gebiete der Verwaltung sind die Stände, wie erwähnt, teils dazu 
berufen, für sich allein, als selbständig handelndes Staatsorgan aufzutreten, teils geht ihre Auf- 
gabe dahin, bei der Tätigkeit anderer Staatsorgane mitzuwirken. Letzteres ist namentlich überall 
da der Fall, wo die Gültigkeit eines staatlichen Verwaltungsaktes ausdrücklich an die Form 
des Gesetzes, d. h. an ein bestimmt geregeltes Zusammenwirken der sogenannten gesetzgebenden 
Faktoren gebunden ist. Eine Mitwirkung der Landstände bei der Vornahme staatlicher Ver- 
waltungsakte kann aber auch unter anderen Formen und Voraussetzungen stattfinden. So 
ist beispielsweise die Etatsaufstellung durch die HV. zwar nicht unbedingt an die Form des 
Gesetzes gebunden, durch ihren Zusammenhang mit der Steuerbewilligung aber trotzdem dem 
Einfluß der Volksvertretung unterworfen (siehe unten § 80, 81). Soweit die Volksvertretung 
in der erstgenannten Weise als selbständig handelndes Staatsorgan auftritt, besteht ihre 
Tätigkeit beinahe ausschließlich in der Ausübung der dem Landtag als Staatsorgan über- 
tragenen Kontrolle der Staatsverwaltung. Diese Kontrolle betrifft die 
gesamte Staatstätigkeit aller übrigen Organe des Staats und äußert sich in einer Reihe 
höchst bedeutsamer Funktionen. Auch die Mitwirkung der Landstände bei der Etatsaufstellung 
fällt zum Teil unter den Gesichtspunkt der Verwaltungskontrolle, da sie den Landständen 
das Recht und die Pflicht gibt, selbständig zu prüfen, ob und inwieweit die staatliche Ver- 
waltungsführung die im Etatsvoranschlag angeführten Bedürfnisse rechtfertigt; allein Gründe 
der Systematik verweisen die Erörterung dieses Gegenstands in einen anderen Zusammen- 
hangs). Das gleiche gilt von der dem Landtag zustehenden Inanspruchnahme der Minister- 
verantwortlichkeit und vom Rechte der Rechnungsprüfung mit den damit 
zusammenhängenden Befugnissen, die gleichfalls an anderen Stellen zu behandeln sind /). 
Wir beschränken uns daher hier auf folgende Punkte: 
1. Beschwerde= und Petitionsrecht. Die Kammern haben durch die 
Verfassung (Art. 79) ausdrücklich die Befugnis erhalten, „dem Großherzog alles dasjenige 
vorzutragen, was sie, vermöge eines übereinstimmenden Beschlusses, für geeignet halten, 
um als eine gemeinschaftliche Beschwerde oder als ein gemeinschaftlicher Wunsch an Ihn 
gebracht zu werden“. Bezüglich des Inhaltes einer solchen Beschwerde oder eines solchen 
Wunsches besteht keinerlei einengende Vorschrift; die Stände können sich also unter dem Ge- 
sichtspunkte einer Beschwerde oder eines Wunsches an den Großherzog trotz der Bestimmung 
des Art. 66 mit jedem beliebigen Gegenstand befassen 5). Namentlich aber haben sie, wie 
in Art. 80 und 81 speziell hervorgehoben wird, die Befugnis, auf die bezeichnete Art: Be- 
schwerden „gegen das Benehmen der Staatsdiener“ (Art. 80) und 
Beschwerden aus Anlaß etwaiger an sie gerichteter Petitionen 
1) Vgl. Anschütz, StK. S. 585. 
2) Bgl. auch van Calker, Verf. S. 81 ff. 
3) Vgl. unten &# 80, 81. 
4) Vgl. oben ##s 32, 33, unten § 82. 
5) Art. 66 lautet: „Die Stände sind nur befugt, sich mit denjenigen Gegenständen zu 
beschäftigen, welche die nachfolgenden Artikel zu ihrem Wirkungskreis verweisen.“
	        
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