58 Die Organisation des Staates. Die Vollsvertretung. g 26
IV. Endlich ist den Kammermitgliedern durch die Gewährung von Diäten und Reise-
entschädigung eine gewisse wirtschaftliche Unabhängigkeit garantiert. Die
Ständemitglieder erhalten nämlich, sofern sie nicht durch Geburt zum Eintritt in die Stände-
kammer berufen sind, und sofern ihr Wohnsitz weiter als 2½ km vom Versammlungsort
entfernt ist, während ihres Aufenthalts an dem Orte der Versammlung zum Zwecke der
Teilnahme an den Sitzungen derselben oder an den Sitzungen und Arbeiten der Ausschüsse
ein Tagegeld von neun Mark, für jedes Übernachten eine Vergütung von drei Mark und
Ersatz für den wirklichen Aufwand an Fahrkosten 1). Diese Vorschriften finden auch auf die
im Auftrage der Kammer oder eines Ausschusses außerhalb des Orts der Versammlung und
des Wohnortes des oder der betreffenden Abgeordneten zu besorgenden Geschäfte sinngemäße
Anwendung (GO. Art. 54).
z 26. Eröffnung, Dauer und Organisation der Ständeversammlung. I. Er-
öffnung und Dauer der Ständeversammlung. Durch die Wahlen zur Ersten
und Zweiten Kammer und durch die Ernennung der vom Großherzog zu berufenden Mitglieder
der Ersten Kammer wird zunächst nur die Volksvertretereigenschaft der einzelnen Landtags-
mitglieder begründet und damit die Zusammensetzung der Stände bestimmt, dagegen werden
den Ständen hierdurch noch keine staatlichen Funktionen übertragen. Die organische Wirk-
samkeit der Stände beginnt erst, nachdem die Ständeversammlung gemäß HV. Art. 63, GO.
Art. 1 vom Großherzog mittels Verkündigung im Regierungsblatt und besonderer schrift-
licher Benachrichtigung der einzelnen Mitglieder einberufen und nach erfolgter „Bil-
dung“ beider Kammern, d. h. nach der „definitiven Konstituierung" der beiden Bureaus gemäß
GO. Art. 12, 13 ordnungsgemäß eröffnet worden ist. Die „Einberufung" der Stände
bildet den Anfangspunkt der in mehrfachen Beziehungen rechtlich bedeutsamen „Dauer
des Landtags“ (vgl. HV. Art. 84, 85), d. i. des anderwärts meistens als „Legis-
laturperiode“ bezeichneten Zeitraums 2); als Endpunkt dieses Zeitraums erscheint
entweder — dies ist der normale Fall — der vom Großherzog befohlene, förmliche Land-
tagsschluß (HV. Art. 63, GO. Art. 57) oder die vom Großherzog verfügte Landtags-
auflösung (HV. Art. 63, 65, GO. Art. 58), oder endlich, falls keiner dieser beiden Akte
vor Ablauf der Wahlperiode bzw. vor Beendigung der Neuwahlen erfolgt sein sollte, der
Tag des Ablaufs der Wahlperiode (dvgl. LstG. Art. 61, Cosack S. 25 ff.).
Durch eine bloße Vertagung wird eine Endigung der „Dauer des Landtags“ (Legis-
laturperiode) nicht herbeige führt 3).
Einberufung, Vertagung, Auflösung und Schließung der Stände stehen dem Großherzoge
ausschließlich und nach freiem Ermessen zu; er ist jedoch verpflichtet, die Stände alljährlich
zu versammeln und im Falle einer Auflösung binnen sechs Monaten eine neue Ständever-
sammlung zu berufen (HV. Art. 64 i. d. F. v. 27. Juni 1900) 4). Nach dem durch den Groß-
herzog oder einen besonders beauftragten Kommissär vorgenommenen Landtagsschluß erfolgt
1) Durch Vereinbarung zwischen der Großh. Regierung und dem Kgl. Preuß. Ministerium
der öffentlichen Arbeiten wurde den Mitgliedern beider Kammern freie Fahrt zwischen ihrem
Wohnsitz und Darmstadt eingeräumt. S. Landtagsabschied vom 7. Juli 1911, B § 6; LV. II
1908/11 Drucks. 663 S. 4; LV. I Beil. 191 S. 4.
2) Die Ausdrücke eislaturperiobe“ und „Wahlperiode“ werden vielfach synonym an-
gewandt, so von Meyer-Anschütz S. 586. Es ist jedoch zu beachten, daß die Wahlperiode,
d. h. der Zeitraum, für welchen gewählt wird, stets gesetzlich unabänderlich feststeht, während
die Dauer der Legislaturperiode oder des Landtags in dem oben bezeichneten Sinne innerhalb
des gesetzlichen Rahmens von dem Willen der Regierung abhängt. (Statt des Ausdrucks „Dauer
des Landtags“ wird häufig auch kurzweg der Ausdruck „Lantag“ gebraucht.)
3) Vgl. die Literaturangaben zu § 25 Abs. III, S. 57 Anm. 3 und LV. II 1892—1894
Prot. B. 3 Nr. 33 S. 31 ff. Beil. B. 3, Nr. 247 (Ausschußbericht Weber).
4) Bezüglich der Gründe der seit 1872/73 hinsichtlich der Landtagsvertagung und -Schließung
bestehenden Regierungspraxis vgl. LV. II 1892 Prot. B. 3, Prot. 33 S. 44, 45. In der Tat
liegen zwischen den einzelnen Landtagsperioden meistens nur wenige Monate Zwischenraum. —
Die Fassung „Der Großherzog wird versammeln“, bezw. „wird berufen“ gibt der
Vorschrift des Art. 64 HV. den Charakter einer „Zusage“ im Sinne der Präambel des
Ministerverantwortlichkeitsgesetzes. Vgl. folg. Seite Anm. 1.