Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XIX. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (19)

62 Die Organisation des Staates. Die Volksvertretung. 5 127 
  
Die Plenarsitzungen sind vorbehaltlich einiger genau bestimmter Ausnahmen 
für erwachsene Zuhörer öffentlich (GO. Art. 36—38); das Sitzungsprotokol l ist in 
der Regel durch den Druck zu veröffentlichen (GO. Art. 17 u. 38 Abs. 3). Die Organe der 
Regierung sind von keiner vertraulichen Sitzung ausgeschlossen (GO. Art. 38 II) 1). 
Die Stellung von Anträgen steht sowohl der Regierung als auch jedem 
einzelnen Kammermitglied zu (GO. Art. 18, 19, HV. Art. 76); die von einer Kammer 
abgelehnten Anträge der Regierung oder der anderen Kammer oder eines Mitglieds 
der Kammer können aber auf demselben Landtage nicht wiederholt werden (H. Art. 91, 
GO. 21) 25). 
Die Vorlagen (Propositionen) der Regierung werden den Kammern oder derjenigen, 
welche darüber zuerst beraten soll :), entweder durch Mitglieder der Ministerien oder durch 
die besonders bestellten Landtagskommissäre oder endlich durch Schreiben des betreffenden 
Ministeriums mitgeteilt. Falls die Kammern nicht versammelt sind, ergeht diese Mitteilung 
an die betreffenden Präsidenten. Die letzteren können in diesem Falle die alsbaldige Zu- 
stellung an den Vorsitzenden des zuständigen Ausschusses verfügen (GO. Art. 18). Diese 
Verfügung bedeutet eine Ausnahme von dem sonst regelmäßig befolgten Grundsatze, daß die 
Kammer selbst darüber zu entscheiden hat, ob ein Beratungsgegenstand an den Ausschuß oder 
an das Plenum verwiesen werden soll. Durch diese Ausnahme soll die Möglichkeit geschaffen 
werden, daß eventuell bis zum Wiederzusammentritt der Kammer schon vorgearbeitet 
werden kann #. 
Die aus der Mitte der Kammern vorgebrachten Anträge (Motionen) dürfen sich nur 
auf Gegenstände beziehen, welche zu dem Wirkungskreise der Kammern gehören (H V. Art. 90). 
Als solche Gegenstände gelten auch Gesetzesentwürfe, welche von mindestens zehn Mitgliederm 
in die Kammer eingebracht werden (GO. Art. 19). Die hiermit anerkannte Gesetzesinitiative 
der Landstände bildete eine wesentliche Neuerung gegenüber der ursprünglichen Bestimmung 
des Art. 76 HV., wonach Gesetzesentwürfe nur von dem Großherzog an die Stände, nicht 
aber von den Ständen an den Großherzog gebracht werden konnten 5). 
Alle auf Beratung eines Gegenstands gerichteten Anträge eines Ständemitglieds sind 
dem Präsidenten schriftlich zu übergeben (GO. Art. 20 1). Bestimmte Arten von Anträgen 
(Gesetzesmotionen, Interpellationen, Antrag auf Ausschluß der Offentlichkeit, Antrag auf 
namentliche Abstimmung, GO. Art. 19 Abs. 2; 22 Abs. 3; 38 Abs. 1 Ziff. 2; 44 Abs. 4) be- 
dürfen der Unterstützung durch eine bestimmte Zahl von Kammermitgliedern. Die Vorlagen 
der Regierung, sowie alle selbständig eingebrachten Anträge von Mitgliedern der Kammern 
werden durch den Präsidenten zum Druck befördert. Die betreffende Kammer beschließt 
hierauf, abgesehen von dem Ausnahmefalle des Art. 18 Abs. 2 GO. )) und außer beim Vor- 
liegen einer Finanzsache oder einer Gesetzesvorlage, mit einfacher Stimmenmehrheit, ob der 
Gegenstand zur Berichterstattung an einen Ausschuß verwiesen oder ob er unmittelbar zur 
1) Bezüglich der ursprünglichen Verfassungsbestimmungen (HV. Art. 99 und 100) und 
deren erstmalige Abänderung durch das Geschäftsordnungsgesetz vom 10. X. 1849 . van Calker 
VG., S. 151 f. — Vgl. auch Bin ding, Die Verf. des Großh. Hessen, Leipzig 1912, S. 29, 
28 und Amtl. Handausg. der hess. Verfassung, bearb. v. Valckenberg, S. 79 Anm. 63. 
2) Die Vorschrift des Art. 91 H., 21 GO. kann sowohl von der Kammer als auch von seiten 
der Regierung geltend gemacht werden. — Bezüglich der Bedeutung des Art. 91 H. vgl. u. a. 
LV. II 1905/8 Drucks. 735. — Hinsichtlich der Entstehung dieses Artikels s. die anonym er- 
schienene Schrift „das suspensive Veto der hessischen Landstände. Eine 
rechtsgeschichtliche Darlegung der Entstehung usw. der Art. 75 und 91 der hess. Verfassung“, 
ainz 4 
3) Siehe auch die Sondervorschrift des Art. 67 HV. 
4) Vgl. L V. II 1873/75, Prot. B. 1 Nr. 8 S. 56. 
5) Die den Ständen durch Art. 76 zuerkannte Befugnis, „im Wege der Petition auf 
neue Gesetze, sowie auf Abänderung oder Aupfhebung der bestehenden anzutragen“, war rechtlich 
bedeutungslos, da sie die Stände auf den Bittweg verwies. — Der ganze Art. 76 entspricht 
beinahe wörtlich dem § 172 der württembergischen Verfassung. 
6) Vgl. oben Abs. 3 und Anm. 4.
	        
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