l 33 Erhebung und Durchführung der Ministeranklage. 77
Von den genannten Disziplinarstrafmitteln dürfte — dem Zwecke der Ministeranklage
und der Stellung der der Ministerverantwortlichkeit unterstehenden Beamten entsprechend —
als staatsrechtliche Rechtsfolge der Ministerverantwortlichkeit praktisch wohl nur die Entfermung
vom Amte in Frage kommen, indessen kann auch die Verhängung der bezeichneten Ordnungs-
strafen nicht für grundsätzlich ausgeschlossen erachtet werden 1).
4. Rechtsmittel. Dem im Ministeranklageprozeß Verurteilten steht gegen das
Erkenntnis des Staatsgerichtshofs gemäß MVG. Art. 6 „das Rechtsmittel der Revision mit
allen Wirkungen der Appellation“ und „das Rechtsmittel der Restitution wegen neu auf-
gefundenen Tatsachen“ zu 2). Die beiden erstgenannten Rechtsmittel bezwecken nach dem
Willen des Gesetzgebers „eine nochmalige Prüfung des Urteils“; die Nachprüfung des Urteils
hat sich selbstverständlich sowohl auf die Rechtsfrage als auch auf die Tatfrage zu erstrecken.
Die Restitution des MVG. entspricht in ihrer Wirkung dem Wiederaufnahmeverfahren der
Reichsstrafprozeßordnung ?).
Über die genannten Rechtsmittel wird gemäß MVG. Art. 7 von dem Plenum des Ober-
landesgerichts entschieden; bei der Entscheidung sind die beiden vorigen Referenten aus-
geschlossen; ferner müssen bei dem neuen Urteile mindestens ebensoviel neue Richter mitwirken,
als hieran alte, d. h. bei der vorigen Entscheidung beteiligte Richter wiederbeteiligt sind.
III. Begnadigung. Das Begnadigungsrecht des Landesherrn in
bezug auf im Ministeranklageverfahren verurteilte Staatsbeamte hat durch das M.
selbst keine ausdrückliche Einschränkung erfahren. Auch die Bestimmung des Art. 50 HV.,
wonach „Staatsdiener, welche des Dienstes dergestalt entsetzt worden sind, daß das Urteil
ihre Unfähigkeit, im Staatsdienste wieder angestellt zu werden, ausdrücklich ausgesprochen
hat“, nie im Staatsdienste wieder angestellt werden dürfen, erscheint heute in diesem Zusammen-
hange nicht mehr als eine Einschränkung des Begnadigungsrechts. Denn die Aberkennung
der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Amter gehört nicht zu den staatsrechtlichen Rechts-
folgen der Ministerverantwortlichkeit ). Daher besteht in bezug auf die vom Staatsgerichts-
hofe erkannten Rechtsfolgen — unter der selbstverständlichen stillschweigenden Voraussetzung,
daß hierdurch nicht der ganze Zweck der Ministerverantwortlichkeit vereitelt wird 5) — ein
uneingeschränktes Begnadigungsrecht des Großherzogs; insbesondere ist es also auch zulässig,
einen auf Grund der Ministeranklage von seinem Amte entfernten Minister in einem anderen
Staatsamte wieder anzustellen 5).
1) Geßner S. 38 erklärt den Staatsgerichtshof ohne Angabe positivrechtlicher Gründe
für zuständig, „die mit Rücksicht auf das Staatswohl gebotenen — politischen und staatsrechtlichen —
Rechtsfolgen je nach Lage des Einzelfalls zu verhängen (also Amtsentsetzung, Mißbilligung, Ver-
warnung usw.)o. Esselborn, Diss. S. 124, Ann. S. 552 hält den Staatsgerichtshof an-
scheinend für befugt, alle diejenigen Disziplinarstrafen anzuwenden, zu deren Verhängung er einst
berufen war; hierher zählt er insbesondere (vgl. auch Esselborn, Diss. S. 126 Abs. 35), die
von der Reichsjustizgesetzgebung angeblich nicht ausgehobene Befugnis, auf Verlust des Amtes
und auf Unfähigkeit der Wiederanstellung im Staatsdienst zu erkennen.
Auch Esselborn bleibt den Beweis für seine Angaben schuldig; die Heranziehung des Art. 50
H . kann jedenfalls nicht zum Beweise der Behauptung dienen, daß die Aberkennung der
Fähigkeit zur Wiederanstellung im Staatsdienste durch die Reichsjustizgesetzgebung nicht auf-
gehoben sei. — Nach Anschütz StR. S. 170 geht das Urteil (nach deutschem Staatsrecht) bei
Bejahung der Schuldfrage „höchstenfalls auf Entfernung aus Amt und Staatsdienst"; Meyer-
Anschütz S. 691 spricht von einem auf „Amtsverlust, Unfähigkeit zur Wiederanstellung“
lautenden Urteil; Pistorius S. 179 faßt die Strafbefugnis des Staatsgerichtshofs nach
deutschem Staatsrecht folgendermaßen zusammen: „Die dem Zwecke des Ministerverantwort-
lichkeitsverfahrens entsprechende Strafe ist die Entfernung vom Ministeramt, unter Umständen
in der Verstärkung als Dienstentlassung. Diese beiden Strafen genügen, alle übrigen sind mit
dem Zweck der Einrichtung nicht in Einklang zu bringen.“ Eine juristische Begründung gibt
keiner der genannten Schriftsteller.
2) Diese Bestimmung beruht auf einem von der l. Kammer einstimmig angenommenen
Antrage der II. Kammer, s. LV. 1 1820/21 Prot. 56 S. 147; L V. II 1820 B. 2 Prot. 50 S. 40;
Beil. 106 S. 20 ff.
3) Vgl. des näheren Esselborn, Diss. S. 124 ff.
4) A. M. Esselborn Diss. S. 126; vgl. auch oben S. 77.
5) Vgl. hierüber L V. II 1820 B. 2 Beil. 106 S. 25 (Floret).
6) Vgl. LB. II 1821 B. 2, Beil. 268 S. 39 (Floret).