5 134 Die Organisation der Justiz. 79
Für jede Provinz besteht fermer ein Landgericht mit der erforderlichen Zahl von Zivil-
und Strafkammern; die Landgerichte umfassen je ein oder zwei Kammemn für Handelssachen
und dienen zugleich als „Kadres“ für die Formierung der Schwurgerichte 1). Der Sitz des
einzigen hessischen Oberlandesgerichts ist Darmstadt 2).
Die Befähigung zum Richteramte, zur Rechtsanwaltschaft, zur Anstellung als Notar,
Hypothekenbewahrer und erster Gerichtsschreiber bei dem Oberlandesgericht und den Land-
gerichten wird durch die erfolgreiche Ableistung zweier Fachprüfungen und eines zwischen
diese beiden Prüfungen eingeschobenen juristischen Vorbereitungsdienstes erlangt. Die erste
Prüfung (die sogenannte juristische Fakultätsprüfung) setzt die Reifeprüfung an einem deutschen.
Gymnasium oder Realgymnasium oder einer hessischen oder ihr gleichgestellten außerhessischen
Oberrealschule und ein mindestens siebensemestriges rechts-, staats- und finanzwissenschaftliches
Universitätsstudium (davon mindestens vier Semester an deutschen Universitäten) voraus
und ist schriftlich und mündlich 3). An die erste Prüfung schließt sich ein dreijähriger Vor-
bereitungsdienst bei den Gerichten, bei Rechtsanwälten und bei einer Verwaltungsbehörde,
wovon zunächst ein Jahr bei einem Amtsgerichte zu verwenden ist; von den übrigen zwei
Jahren „soll“ der Staatsdienstaspirant (Gerichtsreferendar) ein Jahr bei einem Rechts-
anwalte, ein halbes Jahr bei einem Landgerichte oder der Staatsanwaltschaft und ein halbes
Jahr bei einem Kreisamte beschäftigt sein ). Die von der hierzu besonders bestellten Prüfungs-
kommission für das Justiz- und Verwaltungsfach in Darmstadt vorgenommene schriftliche und
mündliche Prüfung erstreckt sich auf das gesamte im Großherzogtume geltende Recht mit
Einschluß des öffentlichen Rechts.
III. Die Gerichtsschreiberei und die Gerichtsvollzieher. Zu-
folge GVG. 8 154 ist bei jedem Gerichte eine Gerichtsschreibere i eingerichtet, deren
Geschäftseinrichtung durch die Landesjustizuerwaltung bestimmt wird. Die Gerichtsschreiberei
besteht bei sämtlichen Gerichten aus je einem Gerichtsschreiber, bei den Amtsgerichten im Be-
dürfnisfall aus mehreren Gerichtsschreibern, und aus der erforderlichen Zahl von Hilfsgerichts-
schreibern. Die Gerichtsschreiber an dem Oberlandesgericht und an den Landgerichten sollen
die Befähigung zum Richteramte besitzen 5).
In dem Bezirke eines jeden Amtsgerichts ist, von besonderen Ausnahmen abgesehen,
mindestens ein Gerichtsvollzieher aufzustellen. Die Verhältnisse der Gerichtsvollzieher
sind landesrechtlich geregelt. Bezüglich ihrer Vorbildung gelten die gleichen Vorschriften
wie für die Gerichtsschreiber, insoweit diese nicht der Befähigung zum Richteramte bedürfen 5.
IV. Die Staatsanwaltschaft'). Bei dem Oberlandesgericht ist
ein „Generalstaatsanwalt“, bei den Landgerichten sind je ein „Oberstaatsanwalt“ und
1) Siehe Anmerkung 7 auf der vorhergehenden Seite.
2, Das Oberlandesgericht ist zufolge MVG. Art. 3 im Einklang mit EG. 2 GVG. 5F 4
gleichzeitig auch mit der Funktion als Staatsgerichtshof betraut.
3) Siehe Prüfungsordnung für die juristische Fakultätsprüfung an der Großh. Landesuniver-
sität, vom 31. I. 1907 (RBl. S. 108), erlassen vom Gr. Minister d. Innern im Einvernehmen
mit den Gr. Ministerien der Justiz und der Finanzen.
4) Allerh. Verordnung, die Vorbereitung für den Staatsdienst im Justiz= und Verwaltungs-
fache betreffend, vom 30. April 1879 (RBl. S. 189) mit mehrfachen Abänderungen, zuletzt durch
Allerh. BO. v. 17. Dez. 1910 und v. 31. Mai 1911 (RBl. S. 237 bzw. S. 78). Bezüglich der
einzelnen Anderungen s. Glock und Lehr, Das im Großh. Hessen geltende Reichs= und
Landesrecht usw., Karlsruhe und Darmstadt 1905, und Hans Becker (vormals Fr. Pfaff),
Neues allgemeines Sachregister z. Gr. hess. Regierungsblatt, 5 Teile (die Zeit vom 13. VIII. 1806
bis Ende 1906 umfassend); 5. Teil, Mainz 1907.
5) Siehe im übrigen AusfV. z. GG. v. 14. Mai 1879 5 11 u. Bek. v. 7. Jan. 1899, den
Vorbereitungsdienst u. die Prüfung der Gerichtsschreiber und Gerichtsvollzieher betr., mit mehr-
fachen Anderungen.
6) Siehe besonders Gerichtsvollzieherordnung vom 21. Mai 1879 (RBl. S. 225) mit mehr-
fachen Anderungen; vgl. auch Dienstanweisung f. d. Großh. Gerichtsvollzieher v. 16. Dez. 1899,
##l- i- u. BO., die Gebühren der Gerichtsvollzieher und Gerichtsdiener betr., v. 8. März
11, . S. 13.
7 Siehe VO. z. Ausf. d. GVG. u. d. EG. z. GVG. v. 14. V. 1879, §§ 8—10, sowie Bek.
v. 7. V. 1898.