d36 Die Organisation der staatl. Verwaltung i. d. Ortsgemeinden, Kreisen u. Provinzen. 83
Staats und zugleich wird eine bewußte Scheidung der letzteren Funktionen in verwaltungs-
richterliche und in reine Verwaltungstätigkeiten vorgenommen. — Damit wurden die Grund-
lagen zu der heutigen modernen Verwaltungsorganisation des hessischen Staates geschaffen.
Die Anderungen, welche die 1874 er Gesetzgebung im Jahre 1885 1) und 1911 2) erfuhr, lassen
diese Grundlagen unberührt.
§ 36. Die Organisation der staatlichen Verwaltung in den Ortsgemeinden,
Kreisen und Provinzen. Die Organisation der Behörden der allgemeinen Landesverwaltungs)
beruht nach der hessischen Kreis= und Provinzialordnung vom 12. Juni 1874 i. d. F. vom 8. Juli
19114) auf der geschichtlich begründeten Einteilung des Staates in drei Provinzen
(Starkenburg, Oberhessen und Rheinhessen) 3) und auf der willkürlich geschaffenen Unter-
einteilung der Provinzen in achtzehn Kreises) die letztere wiederum stützt sich auf
die im Herkommen begründete Einteilung des Staates in Ortsgemeinden und selb-
ständige Gemarkungen?). Eine eigene staatliche Behördenorganisation besitzen
nur die Provinzen und die Kreise; für die Verwaltung der Ortsgemeinden, als staatlicher
Verwaltungsbezirke, bedient sich der Staat regelmäßig der vorhandenen, kommunalen Or-
gane 8); die Gemarkungen werden in Sachen der Landesverwaltung entweder unmittelbar
dem Kreisamt unterstellt oder mit einer benachbarten Gemeinde verbunden. Als die eigent-
lichen staatlichen Verwaltungsbezirke erscheinen die Kreiseb). Die
1) Gesetz v. 15. Mai 1885 (RBl. S. 95).
2) Vgl. die unten behandelten vier Gesetze v. 8. Juli 1911.
3) Die Organisation der aus der allgemeinen Landesverwaltung ausgeschiedenen Amter
(z. B. derjenigen der Forstverwaltung und der Steuerverwaltung) wird bei der Darstellung
der einschlägigen Verwaltungstätigkeiten geschildert.
4) Das Gesetz, die Abänderung der Kreis- und Provinzialordnung v. 12. Juni 1874 betr.,
vom 8. Juli 1911, RBl. S. 324, bringt nicht die ursprünglich in Aussicht genommene vollständige
Revision der Kreis= und Provinzialordnung. Sie beschränkt sich im wesentlichen auf diejenigen
Anderungen, welche durch das Inkrafttreten der neuen Städteordnung und Landgemeinde-
ordnung, des Gemeindeumlagengesetzes und des Verwaltungsrechtspflegegesetzes notwendig
geworden sind, und enthält daher, abgesehen von Verweisungen auf die fortdauernde Geltung
einzelner Bestimmungen des bisherigen Rechts (s. z. B. KO. Art. 93 Abs. II n. F.) eine wört-
liche Wiederholung von mehr als sechzig Artikeln der alten Kreisordnung. Die Neuregelung
einer Reihe organisatorischer und sonstiger wichtiger Fragen, wie namentlich der Kreis= und
Provinzialumlagen ist für einen späteren Zeitpunkt in Aussicht genommen, wo namentlich die
Wirkungen der vorgenannten neuen Gesetze einigermaßen übersehen werden können. Gleich-
wohl ist hier, soweit es der beschränkte Raum zestattete, nicht nur auf die Motive und Verhand-
lungen zur Novelle von 1911 (s. hierüber L V. II 1908/11 u. d. amtl. Handausgabe der Kreis= und
Provinzialordnung vom 8. Juli 1911, hrsg. v. Geheimrat Wilhelm Best, Darmstadt 1911),
sondern auch auf die Regierungsvorlagen von 1905 und 1906 (LV. II. 1903/5, Drucks. B. 4 Nr. 539,
S. 85—170; LV. II. 1905/8 Drucks. Nr. 110 S. 115—241 u. Nr. 549) Bezug genommen, da sich
* in jenen Vorarbeiten viele für die Beurteilung des geltenden Rechts wertvolle Materialien
inden.
5) Vgl. van Calker, Die Entwicklung der hessischen Verwaltungsorganisation im
19. Jahrhundert; Jahrb. d. öffentl. Rechts d. Gegenwart, B. II, 1908, S. 125—131.
6) Die heutige Abgrenzung der Kreise beruht auf einer im Einvernehmen mit dem Land-
tag ergangenen landesherrlichen Verordnung v. 11. Juni 1874. Künftige Anderungen be-
dürfen der Anhörung der beteiligten Kreisvertretungen und Provinzialvertretungen und der
Form des Gesetzes. Das Gleiche gilt von der Abgrenzung der Provinzen. (S. KO. a. F. u. n.
F. Art. 3—4; vgl. auch L V. II. 1873 Prot. B. 1, Prot. 23 S. 59; L V. 1 1873—75 Prot.
B. 1, Prot. 19 S. 720—723.)
7) Diese Gliederung des Staates bildet zugleich auch die Grundlage der kommunalen
Organisation. Kreise und Provinzen sind heute nicht mehr, wie früher, nur geographisch ab-
gegrenzte staatliche Verwaltungsbezirke, sondern sie sind — ebenso wie es die Ortsgemeinden
schon seit langem waren — gleichzeitig mit autonomer Selbständigkeit und mit Korporations-
rechten ausgestattete gemeindliche Selbstverwaltungsverbände. Die letztere Eigenschaft der
Kreise und Provinzen ist jedoch hier der Klarheit halber vorerst völlig auszuscheiden. Vgl.
hierüber unten 88 58ff.; vgl. auch Zeller, Handbuch der Verfassung und Verwaltung im
Großherzogtum Hessen, 2 Bde. u. 1 Erg.-Bd., Darmstadt 1885—1893, 1 S. 119.
8) Besondere staatliche Ordrgane für die Handhabung der Lokalpolizei bestehen nur in Gießen,
Darmstadt, Bad-Nauheim und Offenbach.
9) Siehe van Calker, Art. Hessen (B Behördenorganisation) i. W. B. d. St. u. V. R. IIUS. 401ff.
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