5# 36 Die Organisation der staatl. Verwaltung i. d. Ortsgemeinden, Kreisen u. Provinzen. 85
Landesverwaltung gelegener Funktionen betraut und ist insoweit auch als Staatsorgan —
und zwar als Selbstverwaltungsorgan des Staates — anzusehen 1).
Er besteht unter dem Vorsitze des ihm nicht selbst angehörenden Kreisrats, je nach der
Einwohnerzahl des Kreises aus 15—24 im Ehrenamt funktionierenden Kreistapsabgeordneten,
von welchen ein Drittel von den 50 bezw. 100 wahlberechtigten Höchstbesteuerten des Kreises 2),
zwei Drittel von Bevollmächtigten der Gemeindevorstände aus der Mitte der letzteren ge-
wählt werden. Die aktive Teilnahme an den durch die Höchstbesteuerten vorzunehmenden
Wahlen erfordert männliches Geschlecht, Reichsangehörigkeit, Selbständigkeit, Wohnsitz (bezw.
Grundeigentum oder Gewerbsanlage im Kreise), 25. Lebensjahr, die Fähigkeit zur Vermögens-
verfügung und werwaltung und den Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte. Unter Kuratel
stehende Personen, unverheiratete Frauen, der Staat, Aktiengesellschaften, Stiftungen,
juristische Personen usw., nicht aber politische Gemeinden können sich, sofern die übrigen
Voraussetzungen — namentlich Zugehörigkeit zu der Gruppe der Höchstbesteuerten — bei
ihnen zutreffen, durch einen bevollmächtigten Vertreter an der Wahl beteiligen 7).
Wählbar ist jeder Kreisangehörige, welcher die allgemeinen Voraussetzungen der Wähl-
barkeit zur Gemeindevertretung in seiner Wohnsitzgemeinde besitzt; ausgenommen sind die
bei der Kreisverwaltung angestellten Regierungsbeamten und die Kreisangestellten. Die
Kreistagsabgeordneten werden auf sechs Jahre gewählt; alle drei Jahre findet eine Partial-
erneuerung statt (KO. a. u. u. F. Art. 25, 26). Die Zusammenberufung des Kreistags muß,
sofern nicht der Stand der Geschäfte, der Wunsch des Kreisausschusses oder eines Drittels
der Kreistagsabgeordneten ein häufigeres Zusammentreten erfordern, jährlich mindestens
einmal erfolgen (KO. a. u. u. F. Art. 33).
3. Der Kreisausschuß. Der Kreisausschuß ist, insoweit er in diesem Zusammen-
hange in Betracht kommt, ein mit der Wahrnehmung bestimmter staatlicher Funktionen in
bezug auf die allgemeine Landesverwaltung betrautes Selbstverwaltungsorgan "). Er besteht
aus dem Kreisrat, als Mitglied und Vorsitzenden, und aus sechs weiteren Mitgliedern sowie
zwei Ersatzmännern — darunter mindestens vier Kreistagsabgeordneten —, welche von dem
Kreistag aus der Zahl der zu Kreistagsabgeordneten wählbaren Kreisangehörigen gewählt
werden. Geistliche, Kirchendiener, Elementarlehrer und Kreisangestellte können nicht Mit-
glieder des Kreisausschusses sein; aktive Staatsbeamte bedürfen zum Eintritt in denselben
der Erlaubnis des vorgesetzten Ministeriums (KO. 45 a. u. u. F.). Die Wahl erfolgt auf sechs
Jahre, alle drei Jahre scheidet die Hälfte der Mitglieder aus. Die Ausschußmitglieder werden
durch den Vorsitzenden vereidigt und unterliegen den Disziplinarvorschriften des Gesetzes
Kreistags noch die des Kreisausschusses, abgesehen von dem vorsitzenden Kreisrat, die Eigenschaft
von Staatsbeamten haben, steht dieser Annahme (trotz der Definition des Begriffs der Behörde
bei Meyer-Anschütz S. 342, wo als Mitglieder der Behörden stets Beamte vorausgesetzt
werden) m. E. nicht entgegen. — Cosack S. 35 führt Kreistag und Kreisausschuß richtig unter
den Kreisbehörden auf. Als „Staatsgeschäfte“, die vom Kreistag „mit öffentlicher Dienstpflicht"
(s. Otto Mayer, VerwR. II S. 198 f.) besorgt werden müssen, sind zweifellos die in Art. 31
Ziff. 9 und 11 KO. aufgeführten Aufgaben anzusehen: „9. die Wahlen zum Provinzialtag,
zum Kreisausschuß und zu den durch das Gesetz für Zwecke der allgemeinen Landesverwaltung
angeordneten Kommissionen zu vollziehen ..: II. Gutachten über alle Angelegenheiten abzu-
geben, die ihm zu diesem Zwecke von den Staatsbehörden überwiesen werden.“
1) Der Ausdruck Selbstverwaltungsorgan kann auf den Kreistag in doppeltem Sinn an-
gewandt werden: Der Kreistag ist einerseits Organ der gemeindlichen (körperschaftlichen) Selbst-
verwaltung — als solches bildet er selbstverständlich kein Glied der staatlichen Behördenorgani-
sation — andererseits ein aus Selbstverwaltungselementen gebildetes Staatsorgan, ein Organ.
der „bürgerlichen“, d. h. durch nicht berufsmäßige Beamte geführten Staatsverwaltung. (Vgl.
Rosin, Annalen des Deutschen Reichs, 1883, S. 308, dessen Terminologie auch von Frhr.
v. Stengel, die Organisation der preußischen Verwaltung, 1884, S. 13 u. 18, Lehrbuch des
Verwaltungsrechts, 1886, S. 8 f. und Meyer-Anschütz ausgenommen wurde. Bezüglich
des rtes Krriffe vgl. auch Lamp, Das Problem der städt. Selbstverwaltung, Leipzig 1905,
. 9f. und 121 f.).
2) Die Zahl der wahlberechtigten Höchstbesteuerten ist in den Kreisen Darmstadt, Mainz,
Offenbach und Worms auf fünfzig, in den übrigen Kreisen auf hundert festgesetzt.
3) Siehe KO. Art. 14, 15, 16, 17 (u. u. a. F.).
4) BVgl. Best, KO. 47, Anm. J.