29
I. Von dem Großherzogtum und dessen Regierung
im allgemeinen.
1. Das Verhältnis Hessens zum Deutschen Reich
kommt in der hessischen Verfassungsurkunde nicht zum
Ausdruck; auch in Zukunft kann es dort selbstverständ-
lich niemals konstitutiv geregelt werden, da dieses Ver-
hältnis sich ja nicht nach hessischem Staatsrecht, sondern
nach Reichsstaatsrecht bestimmt.
Durch den Eintritt in das Deutsche Reich hat sich
das Großherzogtum Hessen rechtlich freiwillig der im
Jahre 1806 gewonnenen Unabhängigkeit begeben; es hat
ebenso wie alle anderen deutschen Staaten das Opfer
seiner einzelstaatlichen Souveränität gebracht, um da-
gegen die tatsächlich viel bedeutsamere Stellung einzu-
tauschen, welche ihm die Zugehörigkeit zum Deutschen
Reiche verleiht. Der Grad der Beschränkung der Einzel-
staaten bestimmt sich nach dem Grade der Zuständigkeit
des Reichs; diese ist zufolge RV. Art. 78 theoretisch
insolange unbeschränkt erweiterungsfähig, als nicht durch
Vernichtung der einzelstaatlichen Selbständigkeit das
Deutsche Reich selbst sein Wesen als Bundesstaat auf-
geben würde — eine Annahme, deren Verwirklichung
wir getrost in das Reich der Unmöglichkeiten verweisen
1 Die persönliche Eigenschaft des Großherzogs von Hessen als
„Souverän"“ im völkerrechtlichen Sinn wird hiedurch nicht berührt;
sie besteht unvermindert fort, besitzt auch in staatsrechtlicher Be-
ziehung einen rechtlichen bestimmbaren Inhalt durch die aktive
Teilnahme des Landesherrn bei der Schaffung des souveränen
Reichswillens (vgl. Laband I, S. 92, 96).