60 II. Teil. Die Grundlagen des hess. Verfassungsrechts.
Verfassung bilden, bis auf einem künftigen Landtage da-
rüber Bestimmungen erfolgen würden.
Nachdem die Gemeindeordnung von 1821 im Laufe
der Zeit vielfältige Abänderungen erfahren hatte,! er-
folgte im Jahre 1874 eine gründliche Neuordnung des
gesamten Gemeindewesens? auf der Basis einer umfassen-
den Erweiterung der gemeindlichen Selbstverwaltungs-
befugnisse. Die einschlägigen, vielfach auf preußischem
Muster beruhenden, Gesetze sind: 1. Das Gesetz, betr. die
innere Verwaltung und die Vertretung der Kreise und
der Provinzen, vom 12. Juni 1874 (Rl. S. 251) (die
sog. Kreisordnung), 2. das Gesetz, betr. die Städte-Ord-
nung f. d. Gr. H., vom 13. Juni 1874 (Rl. S. 299)
und 3. das Gesetz, die Landgemeinde-Ordnung f. d. Gr. H.
betr., vom 15. Juni 1874 (Rl. S. 343). Während den
Untertanen bisher eine Mitwirkung bei der Verwaltung
nur insoferne zustand, als einzelne wenige Verwaltungs-
akte durch die Verfassungsurkunde speziell der Genehmi-
gung der Landstände unterworfen wurden, erhielt der
Bürger nunmehr generell die Befugnis, bei der Ver-
waltung der einzelnen Teile des Staates bestimmend mit-
zuwirken. „Während früher die staatliche Kreisregierung
sowohl, wie die Entscheidung über die mannigfaltigen im
Kreise sich ergebenden Verwaltungsfragen einzig und
allein in den Händen der Staatsbehörden (des Kreis-
amts 2rc.) lagen, sollen diejenigen, welche seither ungefragt
regiert wurden, nun selber mitregieren und mitent-
scheiden. Die Staatsbehörden und die Bürgerschaft stehen
1 Vgl. hierüber Friedr. Aug. Küchler, Die gegeuwärtige Ge-
meindeordnung i. Gr. H., system. bearb. u. erläut., Darmstadt 1859.
2 Das Wort „Gemeinde“ ist hier im weiteren Sinne des
Wortes, also unter Einschluß der höheren Gemeindeverbände, ge-
braucht.