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5. Heimath Wesen.
Verfahren in interterritorialen Streitsachen; Charakter der zu fällenden Entscheidungen; Unzulässigkeit von
Interlokuten im Sinne des gemeinen Prozesses und Berufung gegen dieselben an das Bundesamt.
Der Zlegelarbeiter K., welcher in der Bauerschaft Greste, Amts Oerlinghausen im Fürstenthum Lippe, Heimaths-
recht besaß, verheirathete sich im Jahre 1868 im Bezirk des Armenverbandes Leerhafe (Hannover) mit der
Katharine E., welche bereits ein Kind außerehelich geboren hatte, ein zweites in der Ehe gebar und dann
starb. Durch diesen Todesfall wurde, nach der Behauptung des Ortsarmenverbandes Leerhafe, die Nothwendig-
keit herbeigeführt, im Wege der öffentlichen Armenpflege für die Kinder Sorge zu tragen, weil der K. ohne
alles Vermögen, ohne Erwerb und in Folge eines Leibschadens dergestalt erkrankt war, daß er, ohne die öffent-
liche Hülfe, mit den beiden Kindern hätte umkommen müssen. Die Kinder wurden gegen ein wöchentliches
Pflegegeld von 2 Thalern vom 22. Dezember 1872 bis zum 1. April 1873, von da an gegen ein solches von
1½ Thalern untergebracht. Anfangs April 1873 entfernte sich der K. von seinem bisherigen Aufenthaltsort
und begab sich, wie später ermittelt wurde, nach Wilhelmshaven. Da er hier Verdienst fand, so gelang es dem
Armenverband Leerhafe im Dezember 1873, ihn zu bestimmen, die Fürsorge für die beiden Kinder wieder zu
übernehmen. Leerhafe verlangt nunmehr seine bisherlgen, von dem K. nicht wieder beizutreibenden Auslagen
im Betrage von 68 Thlr. 15 Sgr., von dem Ortsarmenverband des Amts Oerlinghausen, der den An-
spruch ablehnte. Die Fürstlich lippe'sche Regierung erließ in dieser Streitsache am 27. Januar 1874 elnen
Bescheld, in welchem
1. sie erklärte, daß das uneheliche Kind der Katharine E., nachherigen Ehefrau K., seinen Unter-
stützungswohnsitz im Amte Oerlinghausen habe;
2. sie den verklagten Armenverband zur Erstattung der zur Unterstützung des K. und seiner Kinder
vom 22. Dezember 1872 bis zum 1. April 1873 aufgewendeten Kosten für verpflichtet erklärte,
nachdem Kläger nachgewiesen haben werde, daß der K. in gedachtem Zeitraum
hülfsbedürftlg gewesen sei und die gewährte Unterstützung das gesetzliche Maaß
nicht überschritten habe;
3. Verklagter mit Rücksicht darauf, daß der K. am 1. April 1873 mit Hinterlassung seiner Kinder
von seinem bisherigen Aufenthaltsort entwichen sei, es also eines weiteren Beweises der Hülfs-
bedürftigkeit der Kinder nicht bedürfe, für schuldig erklärt wird, die ihnen gewährte Unter-
stützung zu erstatten, nachdem Kläger den Betrag und die Angemessenheit näher
nachgewiesen haben würde;
4. sie die Entscheidung über die Kosten vorbehält.
Auf die Berufung des Verklagten hat das Bundesamt für das Heimathwesen durch Erkenntniß vom
4. Mai 1874 den erstrichterlichen Bescheid aufgehoben und die Sache selbst zu anderweitiger Entscheidung in
der Hauptsache sowohl, als in Betreff der Kosten erster Instanz an den Richter der ersten Instanz zurückgewiesen.
In den Gründen dieser Entscheidung wird Folgendes ausgeführt:
Die Sache befindet sich prozessualisch nicht in der Lage, daß das Bundesamt in der Sache
selbst eine Entscheldung treffen könnte.
Der von dem ersten Richter erlassene Bescheid hat in seiner Nr. 1 nur über eine Präjudizial-
frage für einen Theil des erhobenen Anspruchs befunden. Derselbe trägt sodann in Nr. 2 und
Nr. 3 den Charakter eines der Rechtskraft empfänglichen Beweisinterlokuts des gemeinen Zivil-
prozesses an sich, indem die Verurtheilung des Verklagten unter der Bedingung ausgesprochen wird,
daß derselbe einen genau normirten Beweis zu erbringen im Stande sein werde. Der Erlaß der-
artiger, die Beweislast und das Thema probandum rechtskräftig fixirender Vorbescheide, entspricht
jedoch den in selnen wesentlichen Grundzügen durch das Reichsgesetz für die interterritortalen Streitig-