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von der Kompetenz des Bundesamtes auszuschließen, indem dadurch die von der neuerrichteten
Reichsbehörde erwartete Wirksamkeit von vornherein in Frage gestellt gewesen sein würde.
Hätte man gleichwohl beabsichtigt, hler eine Unterscheidung zu machen und Grenzen zu ziehen,
für welche es an jedem inneren Grunde fehlt, und für welche man vergebens nach einer prinzipiellen
Rechtfertigung sucht, so würde eine ausdrückliche und klare Bestimmung in dieser Richtung im Gesetze
haben erwartet werden dürfen. Eine solche enthält das Reichsgesetz nicht, und auch die demselben
zum Grunde liegenden Verhandlungen enthalten keine Andeutung, daß eine derartige Beschränkung
der Kompetenz des Bundesamts der Auffassung entsprochen habe, welche im Reichstage die Majorität
erhielt und in dem Gesetze in seiner jetzigen Gestalt ihren Ausdruck erhalten sollte.
Aber auch der Wortinhalt des Gesetzes nöthigt nicht zur Annahme einer solchen Kompetenz-
beschränkung; die dem Gesetze bisher gegebene Auslegung führt vielmehr nothwendig zu Konsequenzen,
aus welchen sich die Unhaltbarkeit derselben ergiebt. Zunächst bestimmen die §§. 28—33 des Reichs-
gesetzes nur über die materlellen Rechte und Pflichten der Armenverbände unter einander, des vor-
läufig unterstützenden, des Armenverbandes des Dienstortes, desjenigen des Unterstützungswohnsitzes
und des Landarmenverbandes. Daß in diesen Bestimmungen nur die Klage des vorläufig unter-
stützenden, beziehungsweise des Armenverbandes des Dienstortes gegen den definitio Verpflichteten
ihre Begründung finde, ist nicht zuzugeben. Da, nach §. 61 des Gesetzes, durch dessen Bestimmungen
gegenseitige Rechte und Verbindlichkeiten zwischen den zur Gewährung öffentlicher Unter-
stützung nach Maßgabe des Gesetzes verpflichteten Verbänden begründet werden, so ent-
scheidet das rechtliche Interesse eines Armenverbandes bei der Erfüllung der Pflichten durch einen
Andern über das Recht zur Klage gegen denselben.
Daß in §. 28 der Erstattungsanspruch des vorläufig unterstützenden und im §. 29 derjenige
des Dienstortes rücksichtlich der Krankheitsperiode besonders erwähnt wurde, wo er nicht selbst
definitiv verpflichtet, also ebenfalls vorläufig unterstützender ist, war geboten, um die Bedeutung
der vorläufigen Unterstützung mittelst dieser ausdrücklichen Hervorhebung des korrelaten Erstattungs-
anspruchs gesetzlich klar zu stellen. Es schließt eine solche Erwähnung aber anderweitige, auf die
Bestimmung der §§. 28—33 zu gründende Anträge auf Erstattung von Kosten und Uebernahme
Hülfsbedürstiger nicht aus. Weshalb nicht auf Grund des §. 30.a. auch ein Landarmenverband,
welcher die definitive Fürsorge für einen angeblich Landarmen übernommen hat, gegen den Orts-
armenverband sollte klagen können, in welchem der Unterstützte nach dem Resultate nachträglicher
Ermittelung seinen Unterstützungswohnsitz hat, ist nicht abzusehen. Der §. 30.a. bezeichnet nur den
Verpflichteten, nicht auch den Berechtigten, er sagt insbesondere nicht, daß die Klage nur von einem
vorläufig unterstützenden Armenverbande erhoben werden könne.
Gegen die in der bisherigen Judikatur angenommene Beschränkung spricht der an sich völlig
klare Wortlaut der §§. 37 und 36 des Reichsgesetzes. In dem §. 37 insbesondere ist ganz allge-
mein und ohne jede Beschränkung von „Streitigkeiten zwischen verschiedenen Armen-
verbänden über die öffentliche Unter stützung Hülfsbedürftiger“ die Rede, und der
§. 36, welcher jeden Armenverband für berechtigt erklärt, seine Ansprüche gegen einen
anderen Armenverband auf dem durch das Reichsgesetz bezeichneten Wege selbständig und un-
mittelbar vor den zur Entscheidung, sowie zur Vollstreckung derselben berufenen Behörden zu ver-
folgen, verbietet es in seiner gleich allgemeinen Fassung, die gewährte selbständige und unmittel-
bare Rechtsverfolgung vor den berufenen Behörden auf eine gewisse Kategorie der überdies durch
§. 7 des Reichsgesetzes bezüglich der Verfolgung ihrer Rechte gleichgestellten Armenverbände — die
vorläufig unterstützenden — und auf eine gewisse Art von Ansprüchen — diejenigen des vorläufig
unterstützenden gegen den zur definitiven Unterstützung verpflichteten Armenverband, — einzu-
ränken.
Eine Beschränkung der sich nach diesen Paragraphen auf alle die öffentliche Unterstützung
Hülfsbedürftiger ohne Unterschied betreffenden Streitigkeiten erstreckenden Kompetenz des Bundesamtes
kann mit Grund zunächst nicht aus dem §. 34 des Reichsgesetzes hergeleitet werden.
Der an der Spitze des Gesetzesabschnitts über das Verfahren in Strafsachen der Armen-
verbände stehende §. 34, welcher allerdings nur von den Ansprüchen des Ortsarmenverbandes redet,
der einen ihm nicht angehörigen Hülfsbedürftigen vorläufig hat unterstützen müssen, enthält, wie in
dem Berichte der Reichstagskommission (Drucksachen des Reichstags Nr. 139 zu §. 33, Seite 582)