Full text: Central-Blatt für das Deutsche Reich. Zweiter Jahrgang. 1874. (2)

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habe und das Gerichtsgefängniß, aus welchem er entlassen worden sel, im Sinne des Gesetzes weder 
eine Bewahranstalt, noch in Bezug auf Untersuchungsgefangene eine Strafanstalt sei. 
Verklagter hingegen rechnet Untersuchungsgefängnisse zu den Bewahranstalten und führt aus, 
daß Victor F. aus dem Bezirke des hessischen Landarmenverbandes, In welchem seine Festnahme 
zuerst erfolgte, in die Gerichtsgefängnisse eingeliefert worden sei. Uebrigens habe die Haft desselben 
in der Irrenanstalt ihre Fortsetzung gefunden, und der Umstand, daß F. am 10. Oktober 1872 dem 
Armenverbande Hildesheim zur Disposition gestellt worden sei, müsse als Entlassung desselben aus 
der Heilanstalt angesehen werden. 
Die Berufung des Verklagten ist unbegründet. 
Die Anwendung der Vorschrift im §. 30 lit. b. des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870, wonach 
im Falle des Eintritts der Hülfsbedürftigkeit bei der Entlassung domizilloser Personen aus einer 
Straf-, Kranken-, Bewahr- oder Heilanstalt derjenige Landarmenverband die Fürsorge übernehmen 
soll, aus dessen Bezirk die Einlieferung in die Anstalt erfolgt ist, setzt nicht unbedingt eine mit Ent- 
fernung aus den Räumen der Anstalt verbundene Entlassung voraus. Denn die faktische Entfernung 
kann unter Umständen eben wegen des Eintrittes der Hülfsbedürftigkeit, z. B. bei Erkrankung eines 
nach Ablauf der Strafzeit zu entlassenden Strafgefangenen, unausführbar sein und es würde dem Sinne 
des Gesetzes nicht entsprechen, sofern man der angeordneten, also rechtlich erfolgten Entlassung auch 
dann keine Bedeutung beilegen wollte, wenn dadurch die Hülfsbedürftigkeit trotz der Nichtentfernung 
herbeigeführt würde. — Auch muß anerkannt werden, daß Victor F. gerade dadurch hülfsbedürftig 
geworden ist, daß die Kronanwaltschaft zu Hameln seine Entlassung aus der Irrenanstalt, in welcher er als 
Gefangener verpflegt wurde, angeorduct hatte, daß also der Fall des Eintrittes der Hülfsbedürftigkeit bei 
Entlassung aus einer Heilanstalt vorliegt, obwohl die Entfernung augenblicklich unausführbar war. Dem- 
nach ist die Bestimmung des fürsorgepflichtigen Landarmenverbandes allerdings davon abhängig, aus 
welchem Bezirke F. in die Irrenanstalt eingeliefert worden ist. Diese Frage komplizirt sich im vorliegenden 
Falle dadurch, daß F. aus dem Gerichtsgefängnisse zu Hameln in die Irrenanstalt gebracht wurde. 
Gerichtsgefängnisse sind keine Bewahranstalten im gesetzlichen Sinne, wohl aber gehören sie der 
Regel nach zu den Strafanstalten, indem regelmäßig auch Gefängnißstrafen darin verbüßt werden. 
Setzt man voraus, daß F. in Hameln und Münder, wo er zuerst eingesperrt war, obwohl nur 
Untersuchungsgefangener, in einer Strafanstalt sich befand, so bestimmt sich der fürsorgepflichtige 
Landarmenverband nicht nach dem Bezirke, aus welchem F. direkt in die Irrenanstalt, sondern nach 
demjenigen, aus welchem er in die Gefängnisse und demnächst in die Irrenanstalt abgeliefert wurde. 
Denn beim Uebergange des Hülfsbedürftigen aus einer Heilanstalt in die andere ist nach §. 30 cit. 
offenbar der Bezirk entscheidend, aus welchem die Einlieferung in die erste Anstalt erfolgt ist. Ebenso 
muß es sich logischer Weise verhalten, wenn der Aufenthalt in einer Straf- oder Bewahranstalt mit 
demjenigen in einer Heilanstalt, oder umgekehrt vertauscht wird. 
Allein, wenn man auch alle diese Prämissen zugiebt, so ist damit für den Verklagten nichts ge- 
wonnen. Denn auch in die Gerichtsgefängnisse ist Victor F. aus der Provinz Hannover, nämlich 
aus dem hannoverschen Dorfe Pohle, wo er gestohlen hatte und in Haft genommen wurde, einge- 
liefert worden. Die Unterstellung des Verklagten, daß die Einlieferung aus dem hessischen Dorfe 
Rehren erfolgt sei, entspricht dem thatsächlichen Sachverhalte nicht, indem der Ortsvorsteher von 
Rehren sich darauf beschränkte, dem Bestohlenen Beistand zu leisten, ohne selbst für die sichere Be- 
förderung des etc. F. in das Gerichtsgefängniß Sorge zu tragen. Erst nachdem Letzterer, begleitet von 
dem Bestohlenen, in Pohle sich gestellt hatte, wurde er von dem dortigen Ortsvorsteher zum 
Arrestanten erklärt und nach Münder abgeliefert. 
Das erste Erkenntniß war daher auf Kosten des Verklagten zu bestätigen. 
  
6. Konsulat-Wesen. 
  
Dem Kaufmann Frangois Emile van der Haegen in Stettin ist Namens des Deutschen Reichs 
das Exequatur als Königlich belgischer Konsul daselbst ertheilt worden.
 
Berlin, Carl Heymann's Verlag. — Druck von F. Hoffschläger in Berlin.
	        
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