Full text: Central-Blatt für das Deutsche Reich. Zweiter Jahrgang. 1874. (2)

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6. Heimath- Wesen. 
Der in Oberellen im Herzogthum Sachsen-Meiningen zum Unterstützungswohnsitz berechtigte Tagelöhner N. er- 
litt, während er in einem Bergwerke zu Essen arbeitete, eine Beschädigung, in Folge deren er längere Zeit im 
Krankenhause zu Essen im Wege der öffentlichen Armenpflege behandelt und verpflegt worden ist. Gegen die 
von dem Ortsarmenverbande Essen gegen den Ortsarmenverband Oberellen erhobene Klage auf Wieder- 
erstattung seiner sämmtlichen zu 10½ Sgr. täglich für 122 Verpflegungstage llquidirten Auslagen, wandte der Ver- 
klagte unter Anderem ein, daß der Erstattungsanspruch nicht in einer dem §. 34 des Reichsgesetzes vom 6. Juni 
1870 entsprechenden Weise bei ihm angemeldet sei, und daß der Ortsarmenverband Essen jedenfalls nur nach 
dem preußischen Tarife vom 21. August 1871 habe liquidiren dürfen.  
Der erste Richter — der Kreisvorstand zu Meiningen — hat ebenso, wie derjenige zweiter Instanz, 
— das Herzogliche Staatsministerium, Abtheilung des Innern, — beide Einreden verworfen, und den Ver- 
klagken verurtheilt, und das Bundesamt für das Heimathwesen durch Erkenntniß vom 5. September 1874 dle 
zweitrichterliche Entscheidung bestätigt. 
Die Gründe, aus welchen sich auch die bezüglich der erstgedachten Einrede zur Sprache kommenden 
Thatsachen ergeben, waren folgende: 
Allerdings hat nach den vorliegenden Akten des Verwaltungsamts Salzungen der Armenver- 
band Essen am 30. August 1871 die Benachrichtigung, daß etc. R. ins Krankenhaus ausgenommen 
worden, mit der Anfrage: ob die Verpflichtung zur Erstattung der Pflegekosten anerkannt werde, 
an das Amt gerichtet, nicht an den Ortsarmenverband Oberellen, auch die fernere Korrespondenz 
nur mit jenem Verwaltungsamte geführt, welches den Heimathsschein des etc. R. am 21. Juni 1868 
ausgefertigt hatte. Dieses Amt hat indessen die Anmeldung sofort dem Ortsvorstande zu Oberellen 
urschriftlich mitgetheil. Wenn nun der §. 34 des eit. Reichsgesetzes Abs. 2 auch die Anmeldung 
des Anspruchs bei der vorgesetzten Behörde des bethelligten Armenverbandes nur für den Fall 
zuläßt, daß der verpflichtete Armenverband nicht zu ermitteln ist, und letzterer Fall hler nicht vorlse 
so foßt aus dem gedachten Abs. 2. des §. 34 doch nur, daß in dem dort vorgesehenen Falle die 
Anmeldung bei der vorgesetzten Behörde allein zur Wahrung des Anspruchs auch dann genügt, 
wenn sie dem definitiv verpflichteten Armenverbande überhaupt nicht zugegangen ist. Es ist aber 
daraus nicht herzuleiten, daß dem §. 34 nicht genüge geschehen sei, wenn innerhalb der Frist der 
gesetzlich Verpflichtete von der Anmeldung durch die Vermittelung seiner vorgesetzten Behörde voll- 
ständige Kenntniß erlangt, an welche sie allerdings nicht hätte gerichtet werden sollen. Auch dem 
Zwecke des Gesetzes ist damit vollständig genüge geschehen. 
Was die Behauptung anlangt, daß der Armenverband Essen jedenfalls nur nach dem Tarif 
vom 21. August 1871 habe liquidiren dürfen, so erledigt sich dieselbe durch den Wortinhalt des 
Tarifs, wonach derselbe nur für die Verpflegungskosten maßgebend ist, welche einem preußischen 
Armenverbande von einem preußischen Armenverbande zu erstatten sind. Soweit hier der tarif- 
mäßige Satz eine vollständige Vergütung für die gehabten Auslagen nicht enthält, gewährt der 
Tarif dem auf die Erstattung berechtigten Armenverbande eine Ausgleichung dadurch, daß auch ihm 
gegenüber andere preußische Armenverbände nur in gleicher Weise liquidiren können, was in gleicher 
Welse rücksichtlich der Armenverbände des Herzogthums Sachsen-Meiningen nicht zutreffen würde. 
Auch die Ausführung des Verklagten, welche sich auf den Inhalt des §. 30 cit. stützt, ist völlig 
verfehlt. Denn wenn nach §. 30 sich die Höhe der zu erstattenden Kosten nach den am Orte der 
stattgehabten Unterstützung über das Maaß der öffentlichen Unterstützung Hilfsbedürftiger geltenden 
Grundsätzen richten soll, so ist damit eben gesagt, daß es auf das nach den Grundsätzen des Unter- 
stützungsortes wirklich Gewährte ankommt; daß also der Erstattungspflichtige nicht mit dem Ein- 
wande zu hören sei, daß er selbst, wenn die Hilfsbedürftigkeit des Unterstützten an dessen Unter- 
stützungswohnsitz hervorgetreten wäre, sich seiner Verpflichtung billiger zu entledigen in der Lage 
gewesen sein würde, als dies seitens des Armenverbandes des augenblicklichen Aufenhalts des Unter- 
stützten geschehen sei. An die Stelle des wirklich nach den Grundsätzen des Unterstützungs- 
ortes Gewährten kann nach §. 30 Abs. 2 der tarifmäßig zu berechnende Pauschalsatz nur inso- 
weit treten, als in den einzelnen Bundesstaaten solche Tarife für den betreffenden Fall festgestellt 
sind, also hier nicht, weil der preußische Tarif sich auf die interterritorialen Erstattungsansprüche 
gar nicht erstreckt.
	        
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