— 342 —
worden. Am 24. Januar 1874 wurde er zu Preuß. Eylau hülflos auf der Straße liegend gefunden und
mußte die öffentliche Armenpflege sich seiner wieder annehmen. Die dadurch erwachsenen Kosten, sowie
Uebernahme des D. forderte der Ortsarmenverband Preuß. Eylau klagend von dem Landarmenverbande des
Kreises Königsberg unter der Behauptung, daß D. bei seiner Entlassung aus Tapiau noch krank und erwerbs-
unfähig gewesen sei und sich bis zum Wiedereintritt der öffentlichen Srfor e lediglich mit Betteln ernährt
habe, so daß die am 24. Januar 1874 vorhandene Hülfsbedürftigkeit nur als eine Fortsetzung der früheren
betrachtet werden könne.
Das Verwaltungsgericht zu Königsberg hat nach dem Antrage des Verklagten die Klage abgewiesen,
das Bundesamt für das Heimathwesen aber durch Erkenntniß vom 15. Mai 1875 abändernd den Verklagten
nach den Anträgen der Klage verurtheilt:
Die
Gründe,
aus welchen sich auch das Sachverhältniß näher ergiebt, lauteten:
Wie das Bundesamt bereits in dem vom Kläger bezogenen Erkenntnisse vom 29. Juni 1874
in Sachen des Landarmenverbandes des Kreises Preuß. Eylau gegen Langendorf — Entsch.
Heft IV. S. 57 — ausgesprochen hat, erlischt nach §. 30.b. des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870
die Fürsorgepflicht eines Landarmenverbandes, in dessen Bezirke die Unterstützungsbedürftigkeit
einmal hervorgetreten ist, nicht eher als mit dem Aufhören derselben und fällt das Einstellen der
Unterstützung mit diesem Aufhören nicht nothwendig zusammen, es muß vielmehr nach den Um-
ständen eines jeden konkreten Falles beurtheilt werden, inwieweit trotz dieser Einstellung die
Hülfsbedürftigkeit fortgedauert hat. Was nun den Zustand des ehemaligen Lehrers D. während
seines früheren Aufenthalts in der Landarmenanstalt zu Tapiau, seine Entlassung aus derselben
am 14. August 1873 und die Art und Weise anlangt, wie er seitdem und bis zum 24. Januar 1874
seinen Unterhalt fand, wo er in Preuß. Eylau in hülflosem Zustande auf der Straße gefunden
und auf seine Bitte wieder in öffentliche Pflege genommen wurde, so ergiebt sich in dieser Hinsicht
aus den Akten der gedachten Landarmenanstalt Folgendes:
Nach einem ärztlichen, der Aufnahme in die Anstalt zum Grunde liegenden Atteste vom
5. Dezember 1872, sind bei D. in Folge eines Schlaganfalls bedeutende Störungen in der
Thätigkeit des Gehörs und des Rückenmarks eingetreten, die nicht mehr zu beben sein würden.
Sie äußerten sich in einer großen, an Lähmung grenzenden Schwäche der oberen und unteren
Extremitäten, Verminderung der Sehkraft, sehr erschwerter Sprache. Der Zustand des D., der
außerdem verwachsen ist, wurde von dem Arzte uls ein höchst trauriger und er für vollständig
arbeitsunfähig erklärt. Nichtsdestoweniger bat er bereits am 4. Juni 1873 um seine Entlassung
aus der Anstalt unter der gleichzeitigen Erklärung, daß er auf jede fernere Unterstützung seitens
des Kreis-Landarmenverbandes Königsberg Verzicht leiste. Da er sich bisher nur unter gebildeten
Leuten bewegt habe, so fühle er sich in dem ungewöhnlichen Umgange mit seinen Leidensgefährten
höchst unglücklich. Er bitte deshalb ihn nach Gumbinnen zu entlassen, um daselbst ungesäumt die
nöthigen Schritte zur Erlangung der ihm als ehemaligen Lehrer zustehenden Pension von 50 Thlr.
zu thun. Da der Landarmendirektor, weil D. nach dem Zeugniß des Anstaltsarztes nur per
Bahn entlassungsfähig sei, zunächst den Nachweis der Reisemittel verlangte, so erläuterte der Arzt
am 10. Juni seine frühere Aeußerung dahin: D. leide an so großer Schwäche der unteren
Extremitäten, daß er mit Mühe aus einer Stube in die andere gehen und allenfalls ein Paar
hundert Schritte zurückzulegen im Stande sei, nicht aber mehrere Meilen gehen könne. D. erklärte,
daß er zwar Reisemichl nicht besitze, solche aber auch nicht brauchen werde, weil er schon größere
Reisen gemacht und unterwegs stets ausreichende Unterstützung gefunden habe. Alle Herrschaften
hätten es anerkannt, daß er (D.) der Herr Zebaoth sei, arm und hülfsbedürftig. Auf der Polizei
und bei allen Herrschaften habe er stets viele Unterstützung gefunden; in Tapiau könne er nicht
länger bleiben, das würde sein Tod sein. Das Landrathsamt des Kreises Königsberg erachtete
aber die Entlassung des D., so lange eine Besserung seines Zustandes nicht eingetreten sei, für
nicht rathsam, und auch die Landarmendirektion lehnte dieselbe unter dem 10. Juli 1873 ab, so
lange er den Besitz der Reisemittel nach Gumbinnen nicht nachweisen könne, oder nicht eine
Besserung eingetreten sei. D. wiederholte aber bereits am 7. August 1873 seinen Antrag auf Ent-
lassung, indem er sich jetzt soweit gesund und kräftig fühle, um die Reise nach Gumbinnen zu