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Ansicht. Der letzteren würde selbst dann nicht beizutreten sein, wenn man mit dem ersten Richter
annehmen müßte, daß ein Dritter, der erfolgten Regelung ungeachtet befugt sei, nach wie
vor sämmtliche als Rechtsnachfolger zu betrachtende Verbände gemeinschaftlich in Anspruch zu
nehmen. Für das Richteramt und für das Verhältniß unter den Verklagten würde immerhin die
von der Verwaltungsbehörde gemäß ihrem gesetzlichen Mandate getroffene Anordnung maßgebend
sein. Die Erfahrung bebrt, wie bereits angedeutet, daß da, wo die Verwaltungsbehörde dem ge-
dachten Mandate sich nicht entzieht, Weiterungen wie die hier in Rede stehenden vermieden werden
und daß selbst dann, wenn auch nach erfolgter Regelung alle betheiligten Verbände belangt
werden, die Ordnung der Parteirollen ohne Schwierigkeit sich in der Weise vollzieht, daß der be-
treffende Verband für die außer ihm belangten (und in Folge dessen aus dem Prozeß aus-
scheidenden) Verbände einzutreten erklärt.
Durchaus unzutreffend ist es, wenn der erste Richter bemerkt, Marienau und Schäferei hätten
sich mit dem Domänenfiskus auseinandergesetzt und die Uebernahme der bisher fiskalischen Armen-
last nur gegen Zahlung jährlicher Renten übernommen; gleichwohl würden sie jetzt von Berlin
mit belangt, woraus sich die Fruchtlosigkeit solcher Auseinandersetzungen ergebe. — Aeußersten
Falles würde sich aus diesem Argumente des ersten Richters immer nur ergeben, daß eine
unvollständige Auseinandersetzung nicht zu einem vollständigen Erfolge führen kann. Das
gedachte Argument ist aber überhaupt verfehlt. Die Armenpflegelast ist du Marienau und
Schäferei übergegangen, weil diese Ortschaften Gemeinden, d. h. selbständige Ortsarmenverbände
geworden sind, — nicht aber deshalb, weil der Fiskus sich dazu verstanden hat, ihnen, um sie
prästationsfähig zu erhalten, einen jährlichen Zuschuß zu gewähren. Dieses Arrangement scheint
allerdings der Verwaltungsbehörde den Entschluß, Marienau und Schäferei zu selbständigen Ge-
meinden zu erheben, erleichtert zu haben. Die Verwaltungsbehörde hätte aber jedenfalls auch
ohne eine solche Zuschußbewilligung von Seiten des Fiskus Marienau und Schäferei zu Gemein-
den erheben und gemäß F. 36 des Gesetzes vom 8. März 1871 dem Landarmenverbande die
Sustentation derselben in Beziehung auf die Armenlast überlassen können; in diesem Falle wäre
der Erfolg, — der Uebergang der bisher fiskalischen Armenlast auf die Gemeinden — genau der
nämliche gewesen. Das in Rede stehende Arrangement hat sonach mit einer Auseinandersetzung
der hier in Rede stehenden Art nicht das Geringste gemein.
Nicht minder verfehlt ist es endlich, wenn der erste Achter die Frage: wer im vorliegenden
Falle Rechtsnachfolger des Fiskus geworden seis für eine solche erklärt, welche außerhalb der
Kompetenz der zur Entscheidung der Streitsachen der Armenverbände berufenen Behörden liege.
Diese Behörden sind vielmehr befugt, — und sie sind tagtäglich dazu genöthigt, — alle und
jede Fragen ihrer Beurtheilung zu unterwerfen, ohne deren Lösung die Hauptfrage nicht beant-
wortet werden kann, ob und was ein bestimmter Armenverband einem anderen Armenverbande
gemäß den Vorschriften des Reichsgesetzes über den Unterstützungswohnsitz zu leisten hat — mögen
diese Fragen nun dem Eherechte oder dem Obligationenrechte oder dem öffentlichen Rechte, be-
treffend die Verfassung der Gemeinden ect. ect, angehören. Der §. 41 des allegirten Reichsgesetzes,
betreffend die Organisation 2c. der Armenverbände, ergiebt ohne Weiteres, sofern es eines Be-
weises hierfür noch bedarf, daß der Gesetzgeber an die Ausschließung solcher Fragen nicht
gedacht hat.
Demnach hatte Berlin seine Klage ganz mit Recht gegen die Gemeinden Marienfelde,
Marienau und Schäferei gerichtet, — sefesn nur nicht der von Marienfelde erhobene Einwand
begründet sein sollte, daß zu dem Gutsarmenbezirke Marienwerder, außer den gedachten Ort-
schaften u8 noch die Ortschaften Roßgarten, Schloß Mareese und Papiermühle gehört hätten,
in welchem Falle auch diejenigen Ortsarmenverbände noch mit zu belangen gewesen wären, denen
diese letztgedachten Ortschaften gegenwärtig angehören. Dieser Punkt würde zur Erörterung zu
stellen sein, wenn nicht Kläger den, die Abweisung der Klage gegen Marienau und Schäferei be-
treffenden Theil der erstinstanzlichen Entscheidung hätte rechtskräftig werden lassen. Kläger hat
hiernach seinen Anspruch nur noch der einen Gemeinde Marienfelde gegenüber aufrecht erhalten
und in dieser Gestalt ist der Anspruch, der obigen Ausführung zufolge, unbegründet.