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zur Begründung der Verpflichtuug des verklagten Landarmenverbandes nicht darauf an, ob dem
Ortsarmenverbande Kalme ein bewußt rechtwidriges Abschieben des St. zur Last gelegt werden
kann, sondern lediglich auf die Bestimmung des Zeitpunkts des Hervortretens seiner Hülfsbe-
dürftigkeit, und dieser muß nach Vorstehendem als bereits während des Aufenthalts in Kalme
eingetreten betrachtet werden, wo St., und bei Berücksichtigung seiner damaligen Lage auch mit
Recht, die öffentliche Armenpflege überhaupt bei einem Organe derselben zuerst in Anspruch ge-
nommen hat.
Beerdigungskosten, welche ein Armenverband nachträglich übernimmt, bezüglich demjenigen vergütet, der, ohne
dazu verpflichtet zu sein, für die Beerdigung des verstorbenen Armen gesorgt hat, sind nach einer Entscheidung
des Bundesamtes in Sachen Wolmirstedt gegen den Landarmenverband der Provinz Sachsen vom 17. März
1877 von dem fürsorgepflichtigen Armenverbande nicht zu erstatten. Das Erkenntniß ist motivirt, wie folgt:
Die von dem Verklagten bestrittene Kompetenz der Spruchbehörden in Armensachen zur Entscheidung
des vorliegenden Streites ist begründet, da die von dem Magistrat der Stadt Wolmirstedt Namens der dortigen
Armenkasse erhobene Klage füglich nur als eine Klage des dortigen Armenverbandes Wolmirstedt, vertreten
durch den dazu legitimirten Magistrat, angesehen werden kann, und einen angeblich aus der öffentlichen Unter-
stützung eines Hülfsbedürftigen erwachsenen Ersatzanspruch gegen den pflichtigen Landarmenverband verfolgt
(§§. 37, 38 des Reichsges. vom 6. Juni 1870).
Mit Unrecht ist aber Verklagter in erster Instanz zur Erstattung der durch Beerdigung des domi-
zillosen Wilhelm K. verursachten Kosten verurtheilt worden.
Wilhelm K. war, als er Ende Mai 1874 im Gerichtsgefängnisse zu Wolmirstedt verstarb, Unter-
suchungsgefangener und wurde von der Polizeiverwaltung daselbst auf Requisition des Untersuchungsgerichts
und für Rechnung der Gerichtskasse zur Erde bestattet. Die Beerdigung ist demnach nicht im Wege der
Armenpflege erfolgt; die Intervention des Armenverbandes ist für das Begräbniß auch nicht in Anspruch
genommen worden. Wäre dies geschehen, so würde Kläger der Pflicht vorläufiger Fürsorge, die Mittellosigkeit
des Verstorbenen vorausgesetzt, sich allerdings nicht haben entziehen dürfen. Allein hieraus folgt durchaus
nicht, daß Kläger verpflichtet war, nachträglich die Beerdigungskosten auf die Armenkasse zu übernehmen,
als er unter Bezugnahme auf den Ministerial-Erlaß vom 18. Juli 1874 nach Verlauf von 1½ Jahren dazu
aufgefordert wurde. Wer einem Bedrängten zu Hülfe kommt, der ohne solche Dazwischenkunft der Armen-
pflege zur Last gefallen wäre, erlangt damit nicht ohne Weiteres einen Ersatzanspruch gegen den Armen-
verband, der eventuell die Fürsorge vorläufig oder definitiv zu übernehmen gehabt hätte, am wenigsten wenn
er irrthümlich sich selbst zur Gewährung der Hülfe für verpflichtet gehalten hat. Die Aufgabe der Armen-
pflege richtet sich im wesentlichen darauf, zu verhüten, daß der lebende Hülfsbedürftige des nothdürftigen
Lebensunterhaltes, und daß der ohne Mittel Verstorbene des angemessenen Begräbnisses entbehrt; sie soll einem
gegenwärtigen Nothstande Abhülfe verschaffen. Mit Rücksicht darauf ist vom Bundesamte in verschiedenen
Fällen der Bewilligung von Pflegegeld für die Vergangenheit der Charakter der nothwendigen Armen-
unterstützung abgesprochen worden. Aus gleichem Grunde hat auch für Beerdigungskosten, welche von einem
Nichtverpflichteten in der irrthümlichen Annahme, verpflichtet zu sein, bestritten worden sind, der Armen-
verband, welchem unter anderen Umständen die Beerdigung zur Last gefallen wäre, nachträglich nicht auf-
zukommen. Wenn Kläger gleichwohl zum Ersatze der hier in J stehenden, von der Gerichtskasse zu
Wolmirstedt zur Tragung übernommenen Beerdigungskosten sich verstanden hat, so ist dies nach Lage
der Sache ohne zwingenden Grund und ohne Anspruch auf Rückersatz gegen den verklagten Landarmen-
verband geschehen. ,
Kläger war demgemäß unter Abänderung des ersten Erkenntnisses mit dem erhobenen Anspruche ab-
zuweisen und als unterliegender Theil in die Kosten des Verfahrens zu verurtheilen.