Der in Berlin sich aufhaltende Kellner Richard D., welcher in Stettin seinen Unterstützungswohnsitz hat,
wurde auf Veranlassung des Königlichen Polizei-Präsidiums zu Berlin am 23. August 1876 in die Charité
daselbst aufgenommen und in dieser Krankenanstalt bis 6. September 1876 an Syhyphilis ärztlich behandelt
und verpflegt. Die Verwaltung der Charité nahm nicht, wie gewöhnlich, den Armenverband Berlin, sondern
den Armenverband Stettin auf Zahlung der Kurkosten in Anspruch und erstritt ein diesen Armenverband
verurtheilendes gerichtliches Erkenntniß. So kam es, daß Stettin den vollen, die Sätze des preußischen Tarifs
vom 2. Juli 1876 um 26 Mark 25 Pf. übersteigenden Betrag der Kurkosten zu zahlen hatte, und Berlin mit
der Deckung der Differenz zwischen der Vergütung, welche nach dem Tarif anderen Armenverbänden gegen-
über liquidirt werden darf, und der der Charité gebührenden Entschädigung verschont blieb. Der Armen-
verband Stettin klagte nun gegen den Armenverband Berlin auf Ersatz des Mehraufwandes von 26 Mark
25 Pf. und machte geltend, Richard D. habe beim Eintritte der Hülfsbedürftigkeit in Berlin sich aufgehalten,
Verklagter sei daher nach §. 28 des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870 verpflichtet gewesen, im Wege vor-
läufiger Unterstützung für Unterbringung des hülfsbedürftigen Kranken in der Charité und für Bezahlung
der dort entstandenen Kurkosten zu sorgen, vorbehaltlich des Regresses gegen den Kläger als fürsorgepflichtigen
Armenverband, würde aber von letzterem nur Ersatz der tarifmäßigen Kosten haben beanspruchen können und
müsse sonach dem Kläger den Mehrbetrag seines Aufwandes vergüten. In erster Instanz wurde die Klage
abgewiesen, und die Entscheidung damit motivirt, daß nach der eigenen Darstellung des Klägers der Kellner D.
nicht im Wege der Armenpflege, sondern auf Veranlassung der Polizeibehörde, jedenfalls aus sanitätspolizei-
lichen Rücksichten, Aufnahme in die Charité gefunden habe. Auf die Berufung des Klägers hat das Bundesamt
duch Entscheidung vom 22. Dezember 1877 den Kläger ebenfalls abgewiesen und in den Gründen aus-
Kührt:
Die Art der Begründung des Klageanspruches kennzeichnet denselben als einen aus §. 28
des Reichsgesetzes über den Unterstützungswohnsitz abgeleiteten, in das Gebiet des Armenrechts
fallenden Ersatzanspruch, welcher, obwohl von dem definitiv verpflichteten gegen den zu vorläufiger
Fürsorge verpflichteten Armenverband erhoben, der Entscheidung der Spruchbehörden in Armen-
sachen nach §s. 37 ff. des Reichsgesetzes ebenso unterliegt, wie wenn der vorläufig unterstützende
gegen den definitiv verpflichteten Armenverband einen im Armenrechte begründeten Ersatzanspruch
erhebt. Die Kompetenz der Spruchbehörden in Armensachen ist denn auch in jetziger Instanz vom
Verklagten nicht weiter bestritten worden.
Der erhobene Anspruch ist aber unbegründet.
Gegen den Armenverband des Aufenthaltsortes steht dem vorläufig unterstützenden Armen-
verbande ein Anspruch auf Abnahme der Fürsorge und auf Ersatz von Armenpflegekosten nach
zahlreichen Präjudikaten des Bundesamtes nur dann zu, wenn am Aufenthaltsorte die Hülfs-
bedürftigkeit erkennbar hervorgetreten und gleichwohl die erforderliche Unterstützung grundlos versagt
worden ist. Hat der Hülfsbedürftige den Armenverband des Aufenthaltsortes nicht um Hülfe
angegangen, nicht einmal anzugehen versucht, und ist das Unterstützungsbedürfniß während seines
Bestehens auch sonst nicht zur Kenntniß der Organe des Armenverbandes, in dessen Bezirk der
Hülfsbedürftige sich aufhielt, gekommen, so war derselbe nicht in der Lage, Unterstützung zu
gewähren. Es kann daher in solchen Fällen von einer, sei es auch nur objektiven Verletzung der
Pflicht vorläufiger Fürsorge durch den Armenverband des Aufenthaltsortes, und von einer Zuwider-
handlung desselben gegen §. 28 des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870 nicht die Rede sein. Diese
Zuwiderhandlung stellt aber den einzigen Rechtsgrund für Ansprüche gegen den zu vorläufiger
Fürsorge verpflichteten Armenverband dar, mögen dieselben von einem Armenverbande erhoben
werden, der nur vorläufig unterstützt hat, oder der, wie im vorliegenden Falle, zugleich zur Für-
sorge definitiv verpflichtet war. Kläger hätte also nachzuweisen, daß Verklagter verpflichtet und
in der Lage gewesen sei, dem Kellner D. die erforderliche Unterstützung zu gewähren, und dieser
Pflicht widerrechtlich sich entzogen habe. Er begnügt sich indessen damit, zu behaupten, daß D.
beim Eintritte der Hülfsbedürftigkeit in Berlin sich aufhielt, läßt es völlig ungewiß, ob Verklagter
vor oder während der Verpflegung des Kranken in der Charité Kenntniß von der Nothwendigkeit
öffentlicher Unterstützung erlangte, und erwähnt selbst, daß der an Syphilis erkrankte 2c. D. auf
Requisition des Polizei-Präsidiums zu Berlin in die Charité ausgenommen worden sei. Nach der