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Der Metalldreher S., dessen Familie seit dem 1. Januar 1876 in Osnabrück vom Landarmenver-
bande der Provinz Hannover unterstützt wurde, ist seit dem 15. März 1876 in Mühlhausen als hülfsbe-
dürftig verpflegt und der Landarmenverband der Provinz Sachsen wegen Erstattung der Verpflegungskosten
in Anspruch genommen worden.
Das Bezirks-Verwaltungsgericht verurtheilte den Verklagten, weil es entscheidend sei, wo der zu
Unterstützende persönlich angetroffen ist. In den Gründen der abändernden Entscheidung heißt es:
Unbestritten ist die Familie des S. bereits seit dem 1. Januar 1876 und noch während der
hier in Rede stehenden Unterstützung des S. selbst von dem Landarmenverbande der Provinz
Hannover unterstützt worden. Damit ist S. selbst in seiner Familie unterstützt. Vermöge der
Personeneinheit der Familie im armenrechtlichen Sinne kann dieselbe Familie nicht gleichzeitig in
verschiedenen Armenverbänden unterstützungsberechtigt sein. Wenn daher das Bundesamt auch
früher wiederholt ausgeführt hat, daß derjenige Landarmenverband zur Unterstützung verpflichtet
ist, in dessen Bezirk die Hülfsbedürftigkeit hervorgetreten ist, so begreift doch diese Verpflichtung,
sobald sie durch die Hülfsbedürftigkeit eines Familiengliedes hervorgetreten ist und so lange dieser
Unterstützungsfall dauert, auch die Pflicht in sich, die Fürsorge für die während des bereits vor-
liegenden Unterstützungsfalles hülfsbedürftig gewordenen übrigen Mitglieder derselben Familie
zu übernehmen. Deshalb erscheint, da die Familie des S. am 15. März 1876 bereits durch
den Landarmenverband der Provinz Hannover unterstützt wurde, der Verklagte nicht verpflichtet,
die Kosten der Unterstützung des erst an jenem Tage hülfsbedürftig gewordenen Familienhauptes
zu übernehmen.
Von denselben Grundsätzen ist das Bundesamt bereits früher in dem Erkenntniß vom
18. Oktober 1873 in Sachen Berlin wider Joachimsthal (Entsch. III. S. 80) ausgegangen.
N ach einem Erkenntnisse des Bundesamtes vom 30. November 1877 in Sachen Bellings wider Mittelgründau
sindet §. 34 des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870 auch auf Ersatzansprüche Anwendung, welche daraus ab-
geleitet werden, daß durch widerrechtliche Versagung nothwendiger Fürsorge am Aufenthaltsorte ein anderer
Armenverband genöthigt worden ist, den Hülfsbedürftigen zu unterstützen. Das Erkenntniß bemerkt in Bezug
hierauf Folgendes: «
DieVerpflichtungdesVerklagtenzumErsatzederinBellingsaufgewendetenArmenpflegekostenbe-
aründet Kläger einmal damit, daß Valentin H. beim Eintritte der Armenpflege seinen Unterstützungswohnsitz
in Mittelgründau gehabt habe, und sodann mit der Behauptung, daß Verklagter demselben, nachdem er in
Nittelgründau hülfsbedürftig geworden, nicht die erforderliche Unterstützung gewährt, sondern ihn mit seinen
Angehörigen auf öffentliche Kosten nach Bellings befördert habe. Das Thatsächliche des letzteren Vorganges
hat Verklagter zugestanden, während er den Erwerb eines Unterstützungswohnsitzes durch H., beziehungsweise
dessen zweijährigen ununterbrochenen Aufenthalt in Mittelgründau in Abrede stellt. Schon die Zuwiderhand-
lung gegen die Vorschrift in §. 28 des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870 genügt, um den Verklagten zum
Ersatze der in Bellings nothwendig gewordenen Unterstützung zu verpflichten. Allein dieser Anspruch des
Klägers, welcher sich nach dem früher Gesagten auf die im Winter 1874/5 aufgewendeten Kosten für Unter-
bringung und Verpflegung der Familie H. beschränkt, ist durch Versäumniß rechtzeitiger Anmeldung desselben
in jedem Falle verloren gegangen. Verklagter hat in der Klagbeantwortung schon erinnert, daß Kläger die
Familie H. / Jahre lang unterstützt habe, ohne mit ihm in Benehmen zu treten und in der Duplik aus-
drücklich den größten Theil der Ersatzansprüche des Klägers wegen versäumter Anmeldung für verjährt erklärt,
ohne daß Kläger diesen auf §. 34 des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870 sich stützenden Einwand durch den
Nachweis rechtzeitiger Anmeldung des Ersatzanspruches entkräftet hat. Nun könnte man zwar geltend machen,
daß der fragliche Einwand wenigstens dem Ersatzanspruche aus widerrechtlicher Abschiebung gegenüber nicht
Platz greife, weil unter dem vermeintlich verpflichteten Armenverbande, welchem nach §. 34 leg. cit. der Er-