Full text: Central-Blatt für das Deutsche Reich. Elfter Jahrgang. 1883. (11)

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der öffentlichen Fürsorge geboten. Das Vorhandensein der Hülfsbedürftigkeit darf nicht, wie der Vorderrichter 
annimmt, deshalb verneint werden, weil Qu. bei einem Monatsverdienst von 69 M in der Lage gewesen 
sei, für seine Kinder zu sorgen. Es steht der Armenverwaltung kein Mittel zu Gebote, ein Familienhaupt, 
welches bei auskömmlichem Verdienste es unterläßt, für seine Angehörigen in geeigneter Weise zu sorgen, zur 
Erfüllung seiner Pflicht unmittelbar anzuhalten und insbesondere auch zur Aufnahme seiner unerwachsenen 
Kinder zu zwingen. Es könnte zwar nach §. 65 des preußischen Ausführungsgesetzes vom 8. März 1871 
bei der Verwaltungsbehörde der Erlaß eines Beschlusses in Antrag gebracht werden, wonach die betreffende 
Person zur Gewährung der erforderlichen laufenden Unterstützung verurtheilt würde; das Einschreiten der 
öffentlichen Fürsorge kann aber hierdurch weder aufgehalten noch entbehrlich gemacht werden. 
II. 
Die Kosten der Beerdigung landarmer Personen, welche während der Detention in einer Straf-, 
Kranken-, Bewahr= oder Heilanstalt ohne Mittel sterben, sind von demjenigen Landarmen- 
verbande zu tragen, aus welchem die Einlieferung derselben in die Anstalt erfolgt ist. 
Diesen Grundsatz nahm das Bundesamt in dem in Sachen des Ortsarmenverbandes der Straf- 
anstalt Wartenburg, Klägers, wider den Landarmenverband des Kreises Friedland, Beklagten, ergangenen Er- 
kenntnisse vom 22. September 1883 an. 
Die den Sachverhalt ergebenden 
Gründe 
des Erkenntnisses lauten: 
Der landarme Leinweber Albert B. war am 20. August 1881 zur Verbüßung einer gegen ihn 
vom Königlichen Landgericht zu Bartenstein erkannten einjährigen Zuchthausstrafe von dem Magistrat zu 
Bartenstein — Kreises Friedland — in die im Kreise Allenstein belegene Strafanstalt Wartenburg eingeliefert 
worden. Dort verstarb er am 19. Mai 1882 und wurde demnächst im Wege der öffentlichen Armenpflege 
beerdigt. Zur Erstattung der entstandenen Begräbnißkosten hat der Vorderrichter den Beklagten verurtheilt, 
indem er auf den vorliegenden Fall die Schlußbestimmung des §. 30 lit. b des Reichsgesetzes vom 6. Juni. 
1870 zur Anwendung bringt, nach welcher, falls der Unterstützte im hülfsbedürftigen Zustande aus einer 
Strafanstalt entlassen worden, derjenige Landarmenverband zur Erstattung der Kosten verpflichtet ist, aus 
welchem seine Einlieferung in die Anstalt erfolgt ist. 
Die von dem Beklagten hiergegen eingelegte Beschwerde kann als begründet nicht anerkannt werden. 
Mit Unrecht stützt sich derselbe, um seine Haftpflicht zu beseitigen, auf den Wortlaut jener Gesetzesvorschrift, 
welche nur von einer bei der Entlassung aus der Anstalt, nicht aber bei dem Ableben in derselben hervor- 
getretenen Hülfsbedürftigkeit handele. Die Ausnahmebestimmung des §. 30 hat unverkennbar die Tendenz, 
denjenigen Landarmenverband, in welchem sich zufällig Anstalten der bezeichneten Art befinden, allgemein 
von Armenpflegekosten zu entlasten, die aus der Unterstützung von aus anderen Bezirken eingelieferten Hülfs- 
bedürftigen erwachsen und nach der Regel des Gesetzes ihm allein zur Last sallen würden. Die Verhandlungen 
im Reichstag gelegentlich der Berathung jener Vorschrift ergeben nicht, daß man gerade auf den Ausdruck 
„Entlassung" habe Gewicht legen wollen. Bereits in dem bei Wohlers Entscheidungen Heft IV Seite 61 
veröffentlichten Erkenntnisse hat das Bundesamt ausgeführt, daß die Anwendung der fraglichen Bestimmung 
nicht unbedingt eine mit Entfernung aus den Näumen der Anstalt verbundene Entlassung 
voraussetze, da die faktische Entfernung unter Umständen eben wegen des Eintritts der Hülfsbedürftigkeit un- 
ausführbar sein könne. Entscheidend ist, daß die Hülfsbedürftigkeit unmittelbar nach Beendigung 
der Strafhaft (beziehungsweise Detention in der Anstalt) hervorgetreten ist. Dies gilt aber ebenso, wenn 
die Strafhaft durch das Ableben des Gefangenen, wie wenn sie durch Verbüßung der Strafzeit ihr Ende 
erreicht. 
& Hiernach ist der Beklagte zur Erstattung der entstandenen Kosten verpflichtet. 
 
	        
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