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Erkenntniß des Bundesamts für das Heimathwesen, betreffend den §. 64 des preußischen Aus-
führungsgesetzes vom 8. März 1871 (öffentliche Unterstützung hülfsbedürftiger Ausländer).
Der schwedische Arbeiter N. ist im Jahre 1870 in Jütland mit der am 5. Juni 1848 in Osterlygum ge-
borenen Catharina J. getraut. Nach der Verheirathung haben Mann und Frau gedient, und durch mehr-
jährigen Aufenthalt in dem Gesammtarmenverbande Loit unbestritten den Unterstützungswohnsitz erworben.
Im Jahre 1879 ward die Familie während ihres Aufenthalts in dem gedachten Gesammtarmen-
verbande hülfsbedürftig und mußte im Wege der öffentlichen Armenpflege unterstützt werden. Im Herbst
1880 ward von Loit aus bei der Königlichen Regierung die Heimschaffung der Familie beantragt, und solche
laut Schreiben der Regierung, d. d. Schleswig, den 13. August 1881, von der schwedischen Regierung ge-
nehmigt. Am 31. Oktober 1881 ward sodann N. mit einem Kinde nach Malmö ausgeliefert und im
Dezember desselben Jahres auch seine Ehefrau, deren Aufenthalt nicht gleich zu ermitteln gewesen war, mit
einem zweiten Kinde nach Schweden gebracht.
Am 1. April 1882 traf die Ehefrau N. mit 2 Kindern, 3 und ½ Jahr alt, mit dem Postdampf-
schiff von Korsör in Dänemark kommend in hülflosem Zustand in Kiel ein, nahm hier die öffentliche Unter-
stützung in Anspruch und ward ins dortige Armenhaus aufgenommen. Durch die Verpflegung der Frau
und ihrer beiden Kinder im Armenhause sind dem Ortsarmenverband Kiel 71,/f700 — Kosten erwachsen, welche
von diesem gegen den Gesammtarmenverband Loit als denjenigen Armenverband, in welchem N. mit Frau und
Kindern vor der Ausweisung den Unterstützungswohnsitz erworben hatte, eingeklagt sind. Der Beklagte hat ein-
gewandt: Kläger habe die hülfsbedürftig nach Kiel gekommene Ehefrau N. nicht aufnehmen, sie vielmehr nach §. 4
des Freizügigkeitsgesetzes vom 1. November 1867 mit Hülfe der Polizeibehörde sofort nach Schweden zurück
dirigiren sollen; da übrigens nach 8. 64 des preußischen Ausführungsgesetzes vom 8. März 1871 der Aus-
länder in Beziehung auf den Erwerb und Verlust des Unterstützungswohnsitzes leinem Deutschen nur so lange
gleich geachtet werde, als ihm der Aufenthalt im Inlande gestattet werde, so treffe solches hier nicht mehr
zu, nachdem die Ausweisungsordre gegen die Familie N. zur Vollstreckung gelangt sei. Der frühere Unter-
stützungswohnsitz müsse als durch die Heimschaffung unterbrochen angesehen werden. Die Schleswig-
Holsteinsche Deputation hat am 29. September 1882 die Klage abgewiesen und zwar aus folgenden
Gründen:
Da auf Grund diplomatischer Verhandlung die Familie N. von Loit nach Schweden transportirt
worden, findet der §. 64 des Ausführungsgesetzes vom 8. März 1871 auf selbige keine Anwendung. Es
kann dahin gestellt bleiben, ob die Kieler Behörde sich überall in der Lage befunden hat, die sofortige Zurück-
weisung der Ehefrau N. zu ermöglichen. Jedenfalls aber konnte in Folge der unterbliebenen sofortigen
Zurückweisung der durch die Heimschaffung beseitigte bisherige inländische Unterstützungswohnsitz nicht wieder
aufleben. Diesemnach war die Klage zurückzuweisen.
Auf die von dem Ortsarmenverbande Kiel gegen diese Entscheidung eingelegte Berufung hat das
Bundesamt für das Heimathwesen durch Erkenntniß vom 27. Januar 1883 das erste Erkenntniß
abgeändert und den Beklagten schuldig erklärt: Dem Kläger an Armenpflegekosten, für die Familie N. auf-
gewendet, 71,50 M zu erstatten.
Grün de.
Die den §. 64 des preußischen Ausführungsgesetzes vom 8. März 1871 durch den ersten Richter
gegebene Auslegung kann als richtig nicht anerkannt werden.
Es ist zunächst unbedenklich, daß die preußische Staatsregierung, als sie den §. 64 in der schließlich
zum Gesetze gewordenen Fassung einbrachte, dabei die Absicht gehabt hat, von dem im §. 60 des Reichs-
gesetzes vom 6. Juni 1870 der Landesgesetzgebung vorbehaltenen Rechte: die dem Staate auferlegte Ver-
pflichtung zur Unterstützung hülfsbedürftiger Ausländer auf die Armenverbände der betreffenden Staaten zu
übertragen, in vollem Umfange Gebrauch zu machen. Es ist in den amtlichen Motiven zu dem jetzigen
S. 64 ausgesprochen, es scheine kein ausreichendes Motiv für eine Bestimmung vorzuliegen, wonach die Pflicht
zur Unterstützung hülfsbedürftiger Ausländer, abweichend von den einschlagenden Bestimmungen bezüglich der
Deutschen, durchweg für eine Last des Staates erklärt werde. Die Gründe, um derentwillen das Bundes-
gesetz denjenigen Ortsarmenverband für verpflichtet zur Unterstützung eines hülfsbedürftigen Deutschen erkläre,
in dessen Bezirk der Letztere sich 2 Jahre hindurch aufgehalten habe, träfen im wesentlichen auch bei Aus-
ländern zu. Demgemäß solle nach der Bestimmung des §. 67 des Entwurfs — jetzige 8. 64 — wie dies
der s. 60 des Bundesgesetzes offen lasse, jeder Ausländer, so lange ihm der Aufenthalt im In-