Full text: Central-Blatt für das Deutsche Reich. Elfter Jahrgang. 1883. (11)

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lande gestattet werde, in allen durch dieses Gesetz geregelten Beziehungen einem Deut— 
schen gleich behandelt werden. Insbesondere wurde durch den Regierungskommissar bei der Verhand- 
lung im Herrenhause gegen den Beschluß der Kommission dieses Hauses, den entsprechenden Paragraphen 
des Entwurfs zu streichen, bemerkt, daß die Verpflichtung der Staatskasse, für hülfsbedürftige Ausländer zu 
sorgen, für Preußen eine durchaus neue sein würde, da nach dem Fundamentalprinzip der preußischen Gesetz- 
gebung, welches seinen bestimmten Ausdruck in der Armengesetzgebung von 1842 gefunden habe, die Fürsorge 
für Arme überall nur von den Gemeinden, von Gutsbezirken und subsidiarisch von den Landarmenver- 
bänden zu leisten sei, und außerdem von der Staatskasse im einzelnen nur unter gewissen Voraussetzungen 
Zuschüsse geleistet würden. Auch die Bundesgesetzgebung habe es der Landesgesetzgebung überlassen, die dies- 
fälligen Bestimmungen mit den Fundamentalgrundsätzen ihres Armensystems in Einklang zu bringen. 
Die legislativen Verhandlungen zum jetzigen §. 64 ergeben überhaupt, daß man zur Zeit nur darüber 
gestritten hat: soll ein hülfsbedürftiger Ausländer 
a) dem Bundesstaate Preußen, 
b) dem betreffenden preußischen Landarmenverbande, 
I) geradeso wie ein Deutscher demjenigen Orts= und Landarmenverbande zur Last fallen, der für 
ihn zu sorgen haben würde, wenn er kein Ausländer wäre? 
Für die Auffassung ad a hatte sich die Kommission des Herrenhauses ausgesprochen, indem sie ein- 
fach die Streichung des s. 67 des Entwurfs beantragte. Das Herrenhaus selbst hatte sich nach der Alter- 
native ad b für ein Amendement entschieden, durch welches die öffentliche Unterstützung hülfsbedürftiger 
Ausländer, beziehentlich die Erstattung der diesfälligen Vorschüsse die Ortsarmenverbände für eine Pflicht der 
Landarmenverbände erklärt wurde. Die Kommission des Abgeordnetenhauses entschied sich für die von der 
Regierung vergeschlagene dritte Alternative ad c und beschloß die Regierungsvorlage insofern wieder her- 
zustellen. In ihrem Bericht heißt es: 
„Die vorliegende Bestimmung habe nur den Zweck, zu bestimmen, wer innerhalb Preußens die 
Kosten der Armenpflege zu tragen habe, und in dieser Beziehung sei es ganz konseguent, wenn man den 
Ausländer ganz wie den Inländer behandele. Erwerbe er nach den Vorschriften des Bundesgesetzes 
ein Armendomizil in einer Gemeinde, so müsse die Gemeinde, welche seine Kraft ausgenutzt, auch in Beziehung 
auf die Armenpflege nunmehr für ihn aufkommen.“ 
Conf. Abgeordnetenhaus Aktenstück Nr. 109 S. 262. 
Dem Antrage der Kommission gemäß wurde demnächst vom Plenum des Abgeordnetenhauses be- 
schlossen — Stenogr. Ber. S. 675 —, und auch das Herrenhaus trat bei nochmaliger Berathung diesem 
Beschlusse bei. 
Mit den im §. 64 enthaltenen Worten „so lange ihm der Aufenthalt im Inlande gestattet wird“, 
hat lediglich dem Mißverständnisse vorgebeugt werden sollen, als erwerbe etwa ein Ausländer durch den 
Erwerb des Unterstützungswohnsitzes gleichzeitig auch einen Anspruch auf Belassung an diesem Orte 
den Staatsbehörden gegenüber. Der gedachte Zusatz „garantirt" — wie es in dem Kommissionsberichte des 
Abgeordnetenhauses heißt — „jederzeit das Rückweisungsrecht“. 
Nach dieser Entstehungsgeschichte des jetzigen S. 64 kann es nicht zweifelhaft sein, daß nach dem 
schließlichen Einverständnisse aller drei gesetzgebenden Faktoren die nach dem §. 60 des Reichsgesetzes bis zum 
Erlasse einer entgegengesetzten Bestimmung der Landesgesetzgebung dem Staate obliegende Pflicht in Preußen 
für alle Fähle dem Staate abgenommen und den Armenverbänden nach denselben Grund- 
sätzen übertragen sein sollte, wie rücksichtlich eines hülfsbedürftigen Deutschen. Geht man 
hiervon aus, so muß auch angenommen werden, daß, sobald ein aus dem preußischen Staate ausgewiesener 
Ausländer in hülfsbedürftigem Zustande in denselben zurückkehrt, bevor er einen vor der Ausweisung in einem 
Armenverbande nach den Grundsätzen des Reichsgesetzes erworbenen Unterstützungswohnsitz nach den Be- 
stimmungen desselben Gesetzes wieder verloren hat, dem gedachten Armenverbande des Unterstützungswohnsitzes 
die auf ihn im Inlande nothwendiger Weise zu verwendenden Armenpflegekosten zur Last fallen; daß dieser 
Armenverband fürsorgepflichtig bleibt, so lange der zurückgekehrte Ausländer nicht thatsächlich wieder aus dem 
bennmsssgetiee des Reichsgesetzes auf Grund der früheren oder mittelst einer abermaligen Ausweisung ent- 
ernt wird. 
Daß, wie der erste Richter annimmt, der einmal erworbene Unterstützungswohnsitz durch die er- 
foge Aihafung beseitigt, ohne weiteres wieder verloren gegangen sei, dafür bietet das Gesetz nirgend 
nen Anhalt. 
 
	        
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