Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

§ 39. Persönliche Unterschiede der Menschen im ältern Recht. 109 
der Zeit sehr gewechselt. Anfangs nahm man nur eine einzige Altersstufe an, die 
meist auf das vollendete 12. oder 15. Lebensjahr gelegt wurde. Im Sachsen- 
spiegel finden sich zwei Altersstufen, die eine am Ende des 7., die andre am 
Ende des 21. Lebensjahrs. Nach der Rezeption werden drei Stufen ange- 
nommen, am Ende des 7., des 14. (bei Mädchen des 12.) und des 25. Lebens- 
jahrs. Später wird die dritte dieser Stufen vielfach zurückgesetzt, z. B. in 
Preußen auf das Ende des 24. Lebensjahrs. Schließlich ist in Preußen 1869, 
im ganzen Reich 1873 der jetzige Termin, also das Ende des 21. Lebensjahrs, 
als Beginn der Volljährigkeit bestimmt.“4 
Volljährigkeitserklärungen kommen schon im Mittelalter vor, aber wohl unter römischem 
Einfluß. Sie bedurften anfangs eines besondern kaiserlichen, später eines landesherlichen 
Privilegs; doch weist schon das preußische Landrecht sie den Gerichten zu. 1½ 
Im ältern Recht bis zur Rezeption war es jedem, der das 60. Lebensjahr vollendet 
hatte, gestattet, sich nach Belieben einen Vormund zu wählen. 16 
3. a) Daß Geisteskranke, Geistesschwache und Verschwender unter 
Vormundschaft gestellt werden können, ist bereits im Mittelalter anerkannt.¼ 
Dagegen galt eine Entmündigung von Trinkern vor Einführung des bürger- 
lichen Gesetzbuchs nirgends als zulässig. 
b) Leibliche Gebrechen wurden im Mittelalter weit mehr berücksichtigt 
als jetzt. So bestimmen manche Quellen, daß Krüppel und Aussätzige kein 
Erbrecht haben. Noch häufiger findet sich der Satz, daß, wer das Schwert 
nicht mehr heben, das Roß nicht mehr besteigen kann, seine Habe nur mit Zu- 
stimmung seiner Erben veräußern darf.15 Seit der Rezeption sind diese Regeln 
schnell in Vergessenheit geraten. 
4. a) In der älteren Zeit besaß von den Geburtsständen nicht bloß der 
Adel, sondern auch der Stand der Leibeigenen sein Sonderrecht: der Leib- 
eigene konnte ohne die Erlaubnis seines Herrn weder seinen Wohnsitz ändern 
noch eine Ehe eingehen; er war dem Herrn zu Diensten und Abgaben aller 
Art verbunden usw. Aufgehoben ist die Leibeigenschaft zuerst auf den landes- 
herrlichen Domänen; die Freigabe der andern Leibeigenen folgte erst später, 
z. B. in Baden 1783, in Altpreußen 1807, in Hannover 1833.10 
Einige privatrechtliche Besonderheiten galten in älterer Zeit auch für den höheren 
Bürgerstand: so erfreuten sich z. B. in Hessen-Kassel die Ehegatten des niedern Volks 
der Errungenschaftsgemeinschaft, während die des höhern Bürgernstands wie die des Adels 
mit dem römischen Dotalrecht vorlieb nehmen mußten.70 
b) Die Weltgeistlichen wurden im Mittelalter in bezug auf ihr aktives 
Erbrecht vielfach den Frauen gleichgestellt. Ebenso wurde ihr passives Erbrecht 
zugunsten von Kirche oder Bischof eigentümlich umgestaltet. Ihre Ehen waren 
nicht bloß kirchlich verboten, sondern auch nach weltlichem Recht ungültig. 
14) Stobbe 1 § 40 I. 
15) Stobbe 1 § 40 III; preuß. LR. II, 18 § 720; preuß. Kab Ord. v. 16. Juni 1808. 
16) Stobbe 1 § 411. I7) Augsb. Stadtr. 60; Lüb. Recht, Hach cod. II c. 102. 
18) Ssp. I 4, 52 § 2. 19) Belege bei Kraut § 46. 
20) Roth 2 S. 41°. Siehe auch pr. LR. I, 6 8 112, II, 1 § 701.
	        
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