Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

§ 40. Rechtsgegenstände. § 41. Sachen. 115 
Beispiele. I. Eine „Sache“ ist jedes beliebige Exemplar der neuesten Nummer des 
Simplizissimus, bestehend aus Papier und Druckerschwärze, nicht aber der Inhalt dieser 
Nummer, bestehend aus Geist und Witz. II. 1. Ein Mädchen hat ihr schönes Haar an 
einen Friseur verkauft; nachher wird ihr aber der Handel leid, und sie lehnt es ab, das 
Haar sich abschneiden zu lassen. Hier ist ein Zwang gegen sie nicht möglich; denn ihr Haar 
ist keine „Sache“ und auch kein wirtschaftliches Gut andrer Art, sondern ein Teil ihrer 
Person und kann deshalb nicht gültig verkauft werden. 2. Derselbe Fall; nur hat das 
Mädchen das Haar sich bereits abschneiden lassen und will es dem Käufer bloß nicht aus- 
liefern, weil sie von andrer Seite ein höheres Gebot erhalten hat. Hier kann das Haar dem 
Mädchen gewaltsam fortgenommen werden; denn sobald das Haar abgeschnitten ist, ist es 
zur „Sache"“ geworden. 
Auch der menschliche Leichnam ist an und für sich keine „Sache“. Er kann aber zur 
Sache werden. Dies geschieht namentlich dadurch, daß er einer Anatomie oder einem privaten 
Arzt zur Zerlegung ausgeliefert wird. Hierzu sind zuständig 1. die Erben, falls der Ver- 
storbene es gestattet hat, 2. in gewissen Fällen kraft öffentlichen Rechts die Obrigkeit. 
Der oben bestimmte Begriff der „Sache“ wird dadurch etwas modifiziert, daß gewisse 
Rechte als Bestandteile eines Grundstücks gelten sollen (96): sie sind also zu den Sachen zu 
rechnen, obschon sie des Körpers darben! Siehe ferner unten § 42 bei Anm. 16. 
II. 1. Die Sachen sind entweder Sacheinheiten oder Sachbestandteile oder 
endlich Sachinbegriffe. 
a) Sacheinheiten sind die kleinsten Sachen, die das Gesetz oder der 
Verkehr noch als etwas Ganzes gelten läßt. 
b) Sachbestandteile sind die Teile einer solchen Sacheinheit. 
c) Sachinbegriffe sind Sachen, die sich aus einer Mehrheit von 
Sacheinheiten zusammensetzen und sie zu einem größeren Ganzen verbinden. 
Beispiele. I. Ein Schaf ist eine „Sacheinheit“. II. Die Wolle des Schafs ist, so- 
lange sie noch nicht geschoren ist, ein „Sachbestandteil“. III. Die Herde, zu der das Schaf 
gehört, ist ein „Sachinbegriff“. IV. Schaf, Wolle und Herde sind alle drei „Sachen“. 
2. Nicht selten wird der Name „Sache“ in einem engern Sinn, nämlich 
gleichbedeutend mit Sacheinheit gebraucht, und es wird demnach gelehrt, weder 
ein bloßer Sachbestandteil noch ein ganzer Sachinbegriff sei als „Sache" an- 
zusehn.“ Dieser Sprachgebrauch ist aber nicht zu billigen; denn er ist unbe- 
quem und steht mit der Terminologie des bürgerlichen Gesetzbuchs in offen- 
barem Widerspruch. 
Beweis für das letztere sind einerseits BGB. 97, andrerseits BGB. 1035 in Ver- 
bindung mit BGB. 1030. Aus BGB. 97 geht nämlich hervor, daß es „Sachen“ geben 
muß, die zugleich Bestandteil einer andren Sache sind, da hier ausdrücklich hervorgehoben 
wird, daß gewisse „Sachen“ nicht Bestandteile einer andern Sache sein dürsen. Aus BGB. 
1035, 1030 aber folgt, daß, da hier einerseits der Nießbrauch als Belastung einer „Sache“ 
definiert, andrerseits ausdrücklich ein Nießbrauch an einem „Inbegriff“ erwähnt wird, auch 
ein Sachinbegriff als „Sache“ angesehn werden kann. 
3) Sohm, Gegenstand (O5) S. 18.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.