Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

Fünfter Abschnitt. 
Entstehung, Anderung, Aufhebung 
der Rechte. 
I. Tatbestand. Fiktionen. 
8 50. 
I. Eine Rechtswirkung tritt nur ein, wenn eine Rechtsregel es vorschreibt. 
Die Rechtsregeln schreiben aber den Eintritt der Rechtswirkungen nur bedingt 
vor, nämlich nur für den Fall, daß eine Reihe bestimmter Tatsachen eintreten. 
Diese Tatsachen zusammen bilden den Tatbestand der Rechtswirkung; jede 
einzelne dazugehörige Tatsache bildet ein Tatbestandsstück oder eine 
juristische Tatsache. 
Beispiel. A. wünscht, daß er dereinst von Frau B. beerbt werde, jedoch nur, wenn 
die Ehe dieser Frau, die bis jetzt kinderlos war, mit Kindern gesegnet wird. Hier ist der 
Tatbestand für die Rechiswirkung, daß Frau B. wirklich A.s Erbin wird, aus folgenden 
Tatbestandsstücken zusammengesetzt: I. aus der Tatsache, daß A. formgerecht ein Testament 
oder einen Erbvertrag errichtet, in dem er jenen Wunsch als seinen Willen zum Ausdruck 
bringt (1937, 1941, 2229 ff.); II. aus der Tatsache, daß A. stirbt und Frau B. ihn über- 
lebt (1922, 1923); III. aus der Tatsache, daß Frau B. die Erbschaft annimmt oder die Aus- 
schlagungsfrist verstreichen läßt (1942, 1943); IV. aus der Tatsache, daß Frau B. unter 
Einhaltung der dafür geltenden Regeln eine Ehe eingegangen (1304 ff.) und diese Ehe mit 
Kindern gesegnet ist. 
II. 1. Sehr oft wird der Tatbestand einer Rechtswirkung vom Gesetz 
alternativ bestimmt. Das heißt: das Gesetz ordnet an, die Rechtswirkung 
solle eintreten, wenn von zwei vorgeschriebenen Tatbestandsstücken entweder 
das eine oder das andre vorhanden sei. Beide Tatbestandsstücke gelten dann 
im Verhältnis zu der Rechtswirkung, die von ihnen abhängt, als äquivalent. 
2. Die Aquivalenz zweier Tatbestandsstücke wird in unsern Gesetzen mit- 
unter durch eine sog. Fiktion ausgedrückt. Die Gesetze sagen nämlich nicht 
selten, daß, wenn von zwei für irgend eine Rechtswirkung alternativ vorge- 
schriebenen, also äqguivalenten Voraussetzungen die eine erfüllt ist, zugleich auch 
die andre, obschon sie in Wirklichkeit nicht erfüllt ist, doch als erfüllt „gelten“ 
solle. Der Sinn einer solchen sehr künstlichen Formel ist eben der, daß die
	        
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