Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

150 Buch I. Abschnitt 5. Rechtsgeschäfte. 
eine Voraussetzung der andern in ihren rechtlichen Wirkungen völlig gleich- 
gestellt werden soll. 
Beispiele. I. In gewöhnlicher alternativer Form ist angeordnet, daß ein Bürgschafts- 
versprechen schriftlich erteilt und vom Bürgen eigenhändig entweder durch Namensunterschrift 
oder mittels gerichtlich oder notariell beglaubigter Handzeichen unterzeichnet werden muß 
(766, 126). Für die Begründung einer Bürgschaftsschuld sind also äquivalent: 1. die Unter- 
zeichnung des Bürgschaftsscheins mit Namensunterschrift ohne irgendwelche Beglaubigung, 
2. die Unterzeichnung des Scheins mit Handzeichen, z. B. den üblichen drei Kreuzen, so- 
fern diese Handzeichen gerichtlich beglaubigt sind; 3. die Unterzeichnung mit einem solchen 
Handzeichen, sofern sie durch einen Notar beglaubigt sind, nicht aber auch 4. die Unter- 
zeichnung mit Handzeichen, die nur polizeilich oder gar nicht beglaubigt sind. II. In Form 
einer Fiktion ist folgende Aquivalenz angeordnet: wenn ein mit einer Hypothek belastetes 
Grundstück veräußert wird und der Erwerber durch Vereinbarung mit dem Veräußerer auch 
die persönliche Schuld, die durch die Hypothek gesichert ist, übernimmt, ist diese Schuldüber- 
nahme nur wirksam, wenn der Veräußerer sie dem Hypothekengläubiger anzeigt und dieser 
sie genehmigt; doch soll die Genehmigung, auch wenn sie tatsächlich nicht erteilt ist, doch als 
erteilt „gelten“, falls der Gläubiger der Schuldübernahme nicht binnen 6 Monaten nach der 
Anzeige widersprochen hat (415, 416). Der Sinn dieser Regel ist nämlich der, daß für 
die Wirksamkeit der Schuldübernahme die Tatsache, daß der Gläubiger sie positiv genehmigt, 
und die Tatsache, daß er 6 Monate lang keinen Widerspruch gegen sie erhoben hat, einander 
äquivalent sein sollen. 
Über fiktive Rechtsgeschäfte siehe noch unten § 63. 
III. Wenn zum Tatbestande einer Rechtswirkung ein bestimmtes Verhalten 
von Behörden oder Privatpersonen gehört, wird dies Verhalten in den Gesetzen 
selbstverständlich möglichst genau beschrieben. Dabei pflegt entweder gesagt 
zu werden, der Vorgang „müsse“ oder aber er „solle“ diese oder jene Eigen- 
schaften haben. Dementsprechend unterscheidet man Muß= und Sollvor- 
schriften. 
1. Eine Mußvorschrift will aufs strengste verstanden werden: wird sie 
nicht ersüllt, so kommt die Rechtswirkung, auf die sie Bezug hat, einfach nicht 
zustande. 
2. Eine Sollvorschrift ist milder: wird sie nicht erfüllt, so tritt die 
Rechtswirkung, auf die sie Bezug hat, trotzdem ein. Doch ist die Sollvor- 
schrift deshalb nicht in den Wind gesprochen, sondern weiß sich in irgend 
einer andern Art, namentlich durch Strafandrohungen, Geltung zu verschaffen. 
Beispiel. Ein sogenannter eingetragener Verein kommt nur zustande, wenn er eine 
Satzung aufstellt und auf Grund dieser Satzung vom Amtsgericht im Vereinsregister ein- 
getragen wird; die Satzung „muß" den Zweck, den Namen und den Sitz des Vereins an- 
geben und „soll“ von mindestens sieben Mitgliedern unterzeichnet werden (57 I, 69 IID. 
I. Trägt hier das Amtsgericht versehentlich einen Verein im Register ein, obschon die Ver- 
einssaßung den Zweck des Vereins nicht angibt, so ist die Eintragung nichtig; denn es ist 
eine Mußvorschrift verletzt. II. Trägt das Amtsgericht versehentlich einen Verein im Re- 
gister ein, obschon die Vereinssatzung nur von einem einzigen Mitgliede unterzeichnet ist, so 
ist die Eintragung gültig; denn es ist nur eine Sollvorschrift verletzt. Doch kann der 
schuldige Amtsrichter wegen des Versehns disziplinär bestraft werden. 
Als Mußvorschriften sind auch folgende Formeln anzusehn: die Ehe wird dadurch ge- 
schlossen, daß die Verlobten vor einem Standesbeamten persönlich und bei gleichzeitiger An- 
wesenheit erklären, die Ehe miteinander eingehn zu wollen (1317); die Genehmigung eines 
von einem Minderjährigen ohne Wissen seines Vormundes abgeschlossenen Vertrages kann
	        
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