Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

§ 51. Begriff des Rechtsgeschäfts. Aufforderungen und Anzeigen. 155 
zeigen, die in unserem Recht eine nicht geringe Rolle spielen: sie sind nicht 
immer Rechtsgeschäfte, weil der Wille ihres Urhebers nicht notwendig auf eine 
Rechtswirkung gerichtet zu sein braucht;“ aber auch wenn ihnen der Charakter 
eines Rechtsgeschäfts abgesprochen werden muß, stehen sie doch den Rechts- 
geschäften so nahe, daß sie in vielen Beziehungen analog wie diese behandelt 
werden müssen. 
Beispiel. Das Gesetz bestimmt, daß ein Mensch, der wegen Geisteskrankheit entmündigt 
worden ist, keine gültigen Willenserklärungen abgeben kann, und zwar selbst dann nicht, 
wenn er tatsächlich völlig gesund ist, die Entmündigung also ungerechtfertigt ist (104 Nr. 3, 
105 0); nach der Überschrift des Abschnitts, in dem sich diese Bestimmung befindet, sind unter 
den „Willenserklärungen"“, von denen sie spricht, zweifellos nur Rechtsgeschäfte zu verstehn. 
Nun nehme man an, daß ein solcher entmündigter, aber tatsächlich durchaus gesunder Mensch 
eine der folgenden Handlungen vornimmt. I. Er geht eine Ehe ein (1317); er errichtet ein 
Testament (1937); er läßt sich von jemandem einen Apfel schenken (516); er eignet sich eine 
Zigarre an, die der Eigentümer fortgeworfen (958). Ungültig! Denn es handelt sich hier 
durchweg um Willensäußerungen rechtsgeschäftlichen Charakters. II. Er zeugt ein unehe- 
liches Kind (1708); er spielt mit seiner geladnen Flinte, die Flinte entladet sich und die 
Kugel zertrümmert die Fensterscheibe eines fremden Hauses (823); er gräbt auf seinem Grund- 
stück nach Kies und findet dabei zufällig einen Schatz (984). Hier ist von Ungültigkeit keine 
Rede. Denn bei keiner dieser Handlungen ist der Wille des Handelnden auf eine Rechts- 
wirkung gerichtet. Die Handlungen sind also durchweg keine Rechtsgeschäfte. Ja es kommt 
dabei auf das, was der Handelnde mit seinem Verhalten bezweckt, überhaupt nicht an; die 
Handlungen sind also Rechtsgeschäften nicht einmal ähnlich. III. Er entdeckt, daß eine Ware, 
die sein Vormund für ihn gekauft und geliefert erhalten, aber noch nicht bezahlt hat, mangel- 
haft ist und zeigt dies dem Verkäufer an (478), nur weil er seinem Arger über den Vorfall 
Luft machen will; er erfährt, daß seine Ehefrau, die er noch vor der Entmündigung gehei- 
ratet, einen Ehebruch begangen hat, und verzeiht ihr feierlich (1570), nur weil er annimmt, 
daß solche Verzeihung gar keine Folgen und also auch keine Rechtswirkung nach sich ziehe. 
Hier ist die Ungültigkeit beider Handlungen zweifelhaft. Denn sie sind beide keine Rechts- 
geschäfte, da der Wille des Handelnden auf keine Rechtswirkung abzielt. Sie sind aber 
Rechtsgeschäften sehr ähnlich, so daß die analoge Anwendung der für Rechtsgeschäfte geltenden 
Regeln ernstlich in Frage kommt. Wie mir scheint, wird man die analoge Anwendung der 
hier in Rede stehenden Regel im ersten Fall zulassen, im zweiten ablehnen, also die An- 
zeige der Mangels für ungültig, die Verzeihung für gültig ansehen müssen. 
2. Arten der Rechtsgeschäfte. 
652. 
I. 1. a) Jedes Rechtsgeschäft enthält, wie wir wissen, eine Willens- 
äußerung, die auf eine Rechtswirkung abzielt. 
ce) Es kann nun sein, daß die Willensäußerung in der erkennbaren Ab- 
sicht abgegeben wird, den geäußerten Willen irgend jemandem kundzutun. 
Alsdann nennt man sie Willenserklärung. 
6) Ebensogut kann es aber geschehn, daß die Willensäußerung ohne eine der- 
artige Kundmachungsabsicht abgegeben wird, sei es, daß es dem Außernden 
4) Siehe RG. 58 S. 346. 
5) Hierüber besonders Eltzbacher und Manigk in den Anm. 1 genannten Schriften.
	        
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