Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

158 Buch I. Abschnitt 5. Rechtsgeschäfte. 
jemanden bekannt wird. Wenn also das zweite Testament erst im Jahre 25 entdeckt wird, 
nachdem H. 17 Jahre lang auf Grund des ersten Testaments unangefochten als Erbe G.s 
gegolten hat, so löst nicht etwa J. nunmehr den H. ab, sondern H. wird mit rückwirkender 
Kraft aus seiner Erbenstellung gestoßen, J. mit rückwirkender Kraft an seine Stelle gesetzt; 
es ist eben einfach nicht wahr, daß H. jemals Erbe G.s gewesen ist, sondern seit dem 
1. Juli 08 ist, ohne daß er selber oder irgend jemand anders es wußte, immer J. der Erbe 
G.3 gewesen. III. Der Witwer K. hat von seinen zwei Söhnen stets den jüngeren L. dem 
älteren M. vorgezogen; insbesondre hat er ihm notariell eine lebenslängliche Rente von 
10 000 Mark ausgesetzt; er hat ihm ferner den lebenslänglichen Nießbrauch an seinem Hause 
geschenkt und dies im Grundbuch eintragen lassen; endlich hat er ihn testamentarisch zu 
seinem alleinigen Erben eingesetzt; nach K.s Tode will L. diese ihm erwiesene Gunst ab- 
schütteln und verzichtet deshalb nicht bloß auf die Rente und den Nießbrauch, sondern 
schlägt auch die väterliche Erbschaft, sowohl die aus dem Testament wie die gesetzliche, aus. 
Hier ist der doppelte Verzicht und die Erbschaftsausschlagung empfangsbedürftig. Und zwar 
muß L. den Verzicht auf die Rente gegenüber dem M. als der Gegenpartei (397, 130), die 
Ausschlagung der Erbschaft gegenüber dem Nachlaßgericht (1945) erklären, während er den 
Verzicht auf den Nießbrauch nach Belieben gegenüber dem M. oder gegenüber dem Grund- 
buchamt erklären kann (875). IV. N. hat dem O. eine Sache verkauft und geliefert, aber 
den vereinbarten Kaufpreis noch nicht empfangen; nun findet O. die Sache mangelhaft und 
beansprucht deshalb die Herabsetzung des Preises; zu diesem Zweck muß er den Mangel 
dem N. binnen sechs Monaten nach Empfang der Ware anzeigen; es genügt aber, wenn 
er die Anzeige binnen der sechs Monate an N. absendet, während es gleichgültig ist, ob und 
wann die Anzeige bei N. ankommt (478, 477). Hier ist die Anzeige (die freilich kein echtes. 
Rechtsgeschäft zu sein braucht, s. oben S. 155 oben) nicht empfangs-, aber richtungsbedürftig. 
2. a) Bei der Vornahme vieler Rechtsgeschäfte muß sowohl die durch das 
Geschäft belastete als auch die dadurch begünstigte Partei tätig mitwirken: 
beide Parteien müssen Willensäußerungen abgeben, die aufeinander Bezug 
nehmen und inhaltlich zusammenstimmen. Derartige Geschäfte heißen Ver- 
träge (Kontrakte). 
b) Bei andern Rechtsgeschäften bedarf es eines solchen Ineinandergreifens 
der Willensäußerungen von Partei und Gegenpartei nicht, sondern es genügt, 
daß eine einzige Partei ihren Willen äußert. Derartige Rechtsgeschäfte nennt 
man einseitig. 
Beispiel. Wenn A. auf eine Forderung gegen B. und auf ein Pfandrecht, das B. 
ihm zur Sicherung der Forderung bestellt hat, verzichten will, muß er zu dem Verzicht auf 
die Forderung die Zustimmung B.s einholen, während zum Verzicht auf das Pfandrecht 
seine alleinige Erklärung genügt (397, 1255). Der Verzicht auf die Forderung geschieht also- 
durch Vertrag, der Verzicht auf das Pfandrecht durch einseitiges Rechtsgeschäst. 
Zu einem Vertragsschluß bedarf es ausnahmslos der Mitwirkung von zwei Parteien. 
Daraus folgt aber nicht umgekehrt, daß jedes Rechtsgeschäft, bei dem zwei Parteien mitwirken 
müssen, notwendig ein Vertrag sei. Vielmehr kann die Mitwirkung einer Mehrheit von 
Parteien auch bei einem einseitigen Rechtsgeschäft nötig sein. Nur dürfen bei einem ein- 
seitigen Rechtsgeschäft diese beiden Parteien sich nicht als Gegenparteien gegenüberstehn. 
Beispiel: wenn auf eine einer Gesellschaft gehörige Hypothek Verzicht geleistet werden soll, 
ist dazu eine einstimmige Erklärung aller Gesellschafter nötig (709, 714); und doch ist 
der Verzicht kein Vertrag, sondern ein einseitiges Rechtsgeschäft (1168 II); denn die sämt- 
lichen Gesellschafter stehn bei der Verzichtleistung auf der nämlichen Seite: sie sind Mit- 
parteien, nicht Gegenparteien. 
3. Die rechtsgeschäftlichen Willensäußerungen sind dazu bestimmt, ent- 
weder vermögens= oder personenrechtliche Wirkungen hervorzubringen. Man
	        
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