Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

§ 54. Echtheit der Rechtsgeschäfte. § 55. Geschäftsunfähige Personen. 175 
5. Geschäftsfähigkeit. 
a) Geschäftsunfähige Personen. 
§ 55. 
I. 1. Von der Vornahme eines Rechtsgeschäfts ist ausgeschlossen, wer 
geschäftsunfähig ist. 
a) Geschäftsunfähig sind: 
a)Kinder bis zum vollendeten 7. Lebensjahr (104 Nr. 1)2; 
69) Personen, die wegen Geisteskrankheit entmündigt sind (104 Nr. 3)8; 
0) Personen, die, ohne wegen Geisteskrankheit entmündigt zu sein, doch 
tatsächlich geistig krank sind, vorausgesetzt, daß die Krankheit ihnen die so- 
genannte Willensfreiheit raubt und nicht ihrer Natur nach bloß vorübergehend 
ist (104 Nr. 2).4 
b) Die Kinder sind während der ganzen sieben Jahre ihrer Kindheit 
gleichmäßig geschäftsunfähig ohne Rücksicht auf die langsame Zunahme ihrer 
Geisteskräfte. In derselben Art sind Menschen, die wegen Geisteskrankheit ent- 
mündigt sind, gleichmäßig geschäftsunfähig während der ganzen Dauer ihrer 
Entmündigung ohne Rücksicht darauf, daß sie sich vielleicht ab und zu 
eines lichten Zwischenaugenblicks (lucidum intervallum) erfreuen; ja sogar, 
daß sie dauernd gesund geworden, macht nichts aus, solange ihre Entmündigung 
formell fortbesteht. Dagegen gilt ein Mensch, der geistig gestört, aber nicht 
entmündigt ist, nur in dem Zeitraum als geschäftsunfähig, in dem er nach- 
weislich „willensunfrei“ gewesen ist; seine Geschäftsunfähigkeit braucht also 
keineswegs während irgend einer Zeitperiode gleichmäßig fortzudauern, sondern 
gilt, wenn seine geistige Störung anfallsweise auftritt, gleichfalls nur anfallsweise. 
Beispiele zu 1 siehe unten hinter 2c. 
Wann eine geistige Krankheit die sogenannte Willensfreiheit ausschließt, ist eine schwierige 
Frage. Ich lasse sie trotzdem unerörtert, weil sie ganz gleichartig auch im Strafrecht wieder- 
kehrt und dort tatsächlich eine viel größere Rolle spielt als im bürgerlichen Recht. 
2. Alle Rechtsgeschäfte, die ein Geschäftsunfähiger tatsächlich vornimmt, 
sind nichtig (105 1), ohne daß es darauf ankommt, ob sie lästig für ihn sind oder 
ihm lediglich Gewinn bringen, ob er sie gegen den Willen seines Gewalthabers 
oder mit dessen Zustimmung vorgenommen hat, ob seine Geschäftsunfähigkeit 
bei Vornahme des Geschäfts der Gegenpartei bekannt oder unbekannt war. 
a) Daß die Rechtsgeschäfte eines Geschäftsunfähigen nichtig sind, bedeutet, 
wie wir wissen, daß sie keinerlei rechtsgeschäftliche Wirkung haben. Dagegen ist 
es sehr wohl möglich, daß ihnen eine sehr erhebliche nichtrechtsgeschäftliche 
1) Brunswig, Handlungsfähigkeit der Geisteskranken (02); Breit, Geschäftsfähigkeit 
(03); Eltzbacher, Handlungsfähigkeit (03); Dittenberger, Schutz des Kindes (03). 
2) Siehe oben § 28 I. 3) Siehe oben 8 29 I. 
4) Siehe oben § 29 II u. unten § 56.
	        
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