4 Einleitung.
3. Geschichtliche Entwicklung des deutschen bürgerlichen Rechts.
a) Bis zur Rezeption des römischen Rechts.“
83.
Das deutsche bürgerliche Recht hat sich bis zum Ende des Mittelalters
im Wege langsamer Gewöhnung ausgebildet. Deshalb ist sein Entwicklungs-
gang einförmig. Er schließt freilich große Rechtsänderungen ein; aber diese
sind so allmählich vor sich gegangen, daß sie sich der Beobachtung im einzelnen
entziehn. Darum sollen im folgenden aus der Entwicklungsgeschichte des mittel-
alterlichen Rechts nur einige wenige Züge angeführt werden.
I. Der Satz, daß das deutsche bürgerliche Recht ein Gewohnheitsrecht ge-
wesen, hat in voller Reinheit nur in der Urzeit bis zum Abschluß der Völker-
wanderung und dann ein zweites Mal in den ersten drei Jahrhunderten des
deutschen Reichs gegolten; in diesen beiden Perioden ist in der Tat von einem
bürgerlichen Gesetzesrecht kaum eine Spur vorhanden. Dagegen hat sich in
den ersten drei auf die Völkerwanderung folgenden Jahrhunderten und dann
wieder in den drei letzten Jahrhunderten des Mittelalters dem Gewohnheits-
recht auch ein Gesetzesrecht zugesellt.
Aus der ersten Periode dieses Gesetzesrechtes kommen namentlich die „Volksrechte“
(leges Barbarorum) in Betracht, vor allem die lex Salica und die langobardischen Gesetze;
in der zweiten Periode ragen die Landrechte einzelner Territorien (z. B. oberbayrisches
Landrecht von 1336) und die Stadtrechte (z. B. das von Lübeck, Goslar, Augsburg, München)
hervor. — Doch ist der Gegensatz zwischen der Zeit reinen Gewohnheitsrechts und der Zeit,
da zu dem Gewohnheitsrecht ein Gesetzesrecht hinzutritt, nicht zu überschätzen. Denn die
mittelalterliche Gesetzgebung hat gegenüber dem Gewohnheitsrecht nur selten eine selbständige
Haltung eingenommen; sie hat sich vielmehr zumeist darauf beschränkt, solche Rechtsregeln
gesetzlich festzulegen, die bereits vorher in der Gewohnheit zur Geltung gelangt waren. Nur
ausnahmsweise, namentlich wenn ein rechtspolizeilicher Grund dafür sprach, hat die ältere
Gesetzgebung einen wirklich neuen bürgerlichen Rechtssatz geschaffen. Als Beispiel sei etwa das
gesetzliche Verbot der Zinsabrede und des Verkaufs von Früchten auf dem Halm angeführt.
II. Eine große Anderung des bürgerlichen Rechts hat der Übertritt des
deutschen Volkes zum Christentum mit sich gebracht. Namentlich hat sich das
Eherecht den klerikalen Lehren angepaßt, und auch auf dem Gebiet des Erb-
und Vertragsrechts — man denke etwa an die Seelgeräte, den Gottespfennig
— macht sich kirchlicher Einfluß geltend.
III. Bis zur fränkischen Zeit galt das Recht in jedem Rechtsgebiet ein-
heitlich für das ganze Volk; freilich die Knechte genossen des Volksrechts nicht;
aber sie hatten nicht etwa ein schlechteres Sonderrecht, sondern darbten des
Rechts ganz. Hier trat im Mittelalter ein Wechsel ein. Erstlich bildete sich
für die Knechte ein eignes Rechtssystem aus, das „Hof= und Dienstrecht“. So-
dann entstand für den Adel ein besondres Rechtssystem, das zwar nicht die
1) Heusler, Institutionen des D. Privatrechts, 2 Bde. (85/86); Schröder, D. Resch.
5. Aufl. (07); Brunner, Grundzüge der D. Rechtsgeschichte 2. Aufl. (03).