210 Buch I. Abschnitt 5. Rechtsgeschäfte.
der (ursprünglichen oder gemäß der Regel zu b nachträglich verlängerten)
Annahmefrist rechtswirksam geäußert, so ist der Antrag erloschen, d. h. er hat
seine Annahmefähigkeit verloren. Eine Annahme nach Ablauf der Annahme-
frist bringt also den Vertrag nicht zustande. Auch ist der Antragsteller, wenn
man von dem bereits zu b besprochnen Ausnahmefall absieht, keineswegs ge-
halten, die Verspätung dem Antragsempfänger mitzuteilen oder gar die ver-
spätete Annahme ausdrücklich zurückzuweisen oder seinen Antrag zurückzunehmen,
sondern er kann die verspätete Annahmeerklärung völlig ignorieren. Trotzdem
ist diese Annahmeerklärung nicht gänzlich unwirksam, sondern gilt als ein neuer
Antrag des Antragsempfängers an den Antragsteller. Es steht also im Be-
lieben des letzteren, auf die verspätete Annahme einzugehn und damit den Ver-
trag zustande zu bringen.
Beispiel. A. in Bromberg trägt dem B. in Hof durch zwei Depeschen, die er Montag
Vormittag bald hintereinander aufgibt, zwei verschiedene Spekulationsgeschäfte an und
schreibt in beiden Depeschen umgehende Drahtantwort vor; B. antwortet auch auf beide
Depeschen sofort nach Empfang telegraphisch, daß er annehme; trotzdem erhält A. die Ant-
wortdepeschen B.s erst Dienstag Nachmittag; der Grund ist, daß B. die Depesche I A. ver-
spätet erst Dienstag Mittag erhielt, während ihm die Depesche II A.s rechtzeitig Montag
Mittag zuging, aber seine eigne Antwortdepesche in Bromberg verspätet eintraf; die Zeit,
wann B. seine Antwortdepeschen in Hof aufgab, ist aus diesen Depeschen zu ersehn. Hier
braucht A. keine dieser Annahmeerklärungen B.8 gelten zu lassen; denn verspätet sind sie
alle beide. Wenn er will, kann er aber auch alle beide Annahmeerklärungen trotz ihrer
Verspätung als rechtswirksam behandeln. A. muß aber, wenn er sich auf den ersten Stand-
punkt stellen will, die Verspätung der Annahme seiner Depesche II dem B. unverzüglich an-
zeigen; umgekehrt muß er, wenn er den zweiten Standpunkt einnehmen will, die Annahme
seiner Depesche 1 binnen der hierfür laufenden neuen Annahmefrist positiv genehmigen.
Tut er keins von beiden, so ist der Vertragsschluß auf Grund der Depesche II zustande
gekommen, auf Grund der Depesche 1 gescheitert.
5. In gewissen Fällen erlischt der Antrag schon vor Ablauf der An-
nahmefrist.
a) Der Hauptfall ist der, daß der Antragsempfänger den Antrag noch
während des Laufs der Annahmefrist ablehnt: ein einmal abgelehnter Antrag
kann nicht mehr rechtswirksam angenommen werden; die Ablehnung geschieht
durch empfangsbedürftige Willenserklärung des Antragsempfängers an die
Adresse des Antragstellers (146).
Beispiel. I. A. telegraphiert am 1. Oktober an B.: „offeriere 10000 Doppelzentner
prima Weizenmehl 1% unter Börsenpreis, Antwort bis 5. Oktlober“; B. depeschiert am
2. Oktober zurück: „nehme 1 ½ % unter Börsenpreis an“; A. antwortet sosort: „Preis-
reduktion unmöglich“; darauf telegraphiert B. am 4. Oktober: „angenommen 10%% unter
Börsenpreis“; A. erwidert aber: „verkaufe jetzt nur zu Börsenpreis.“ Hier ist A. zu dieser
nachträglichen Anderung seines Antrages vom 1. Oktober wohl befugt, obschon B. den Antrag
noch innerhalb der Annahmefrist unbedingt angenommen hat; denn dadurch, daß B. der
unbedingten Annahme eine bedingte hat vorausgehn lassen, hat er den Antrag A.s abge-
lehnt loben S. 205, 2) und damit das Recht auf die nachträgliche unbedingte Annahme ver-
loren. II. Anders wäre zu entscheiden, wenn das erste Telegramm B.3 gelautet hätte:
„möchte nicht mehr als 1 / % unter Börsenpreis zahlen; Antwort bis 4. Oktober“; denn
alsdann hätte B. den Antrag A.s nicht bedingt angenommen, sondern sich unter Stellung
eines Gegenantrages die Annahme oder Ablehnung vorbehalten.