Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

8 59a. Versteigerung. § 60. Formfrreiheit. 213 
9. Foromfreiheit und Formzmang. 
a) Allgemeines. 
8 60. 
I. 1. Leitender Grundsatz ist, daß die Rechtsgeschäfte, sie mögen noch so 
verwickelten Inhalts sein und noch so wichtige Rechtsfolgen haben, formfrei 
vorgenommen werden können. Das will besagen: die Parteien, die ein 
Rechtsgeschäft vornehmen, sind in der Wahl der Mittel, durch die sie ihren 
rechtsgeschäftlichen Willen äußern, frei. Es ist völlig genügend, wenn die 
Willensäußerung, die sie abgeben, deutlich ist; in welcher Art sie dies Ziel er- 
reichen, steht in ihrem Belieben. 
2. Demnach ist es zur Gültigkeit eines Rechtsgeschäfts grundsätzlich nicht 
erforderlich, daß das Geschäft irgendwie beurkundet oder daß es vor Zeugen 
vorgenommen wird. Ebensowenig ist es nötig, daß die Parteien, die das Ge- 
schäft vornehmen, sich bestimmter Formeln oder Ausdrücke bedienen. Ja die 
Parteien können ihren rechtsgeschäftlichen Willen sogar gänzlich ohne Worte 
äußern, sei es durch irgendeine Zeichensprache, sei es durch sogenannte kon- 
kludente Handlungen. 
Beispiele. I. A. hat an den minderjährigen B. ein Rittergut verkauft und geht nun 
zu C., dem Vater B.8, um dessen Zustimmung zu erbitten; C. hört die Bitte A.s schweigend 
an und antwortet nur mit einem Kopfnicken. Hier ist die Einwilligung des C. gültig er- 
teilt, auch wenn über den Kauf selbst zwischen A. und B. ein notarieller Vertrag mit 
dreißig weitläufigen und schwierigen Paragraphen aufgesetzt ist und der Kaufpreis, den B. 
zu entrichten hat, eine Million Mark beträgt. Denn die Einwilligung eines Vaters in die 
Verträge seines minderjährigen Kindes bedarf keiner Form (182 II). II. Der Zigarren- 
händler D. sieht, während er sich mit seinem Kunden E. unterhält, wie ein andrer Kunde F. 
schweigend in seinen Laden tritt, aus ciner auf dem Ladentisch stehenden Kiste 10 Zigarren 
entnimmt, ein Markstück danebenlegt und den Laden wieder verläßt, ohne daß D. deshalb 
seine Unterhaltung mit E. unterbricht. Hier ist ein gültiger Kaufvertrag zwischen D. und 
F. zustande gekommen, obschon die Parteien nicht nur keine Worte miteinander gesprochen, 
sondern sich nicht einmal Zeichen gegeben haben. 
II. Der Grundsatz der Formfreiheit der Rechtsgeschäfte erleidet aber sehr 
wesentliche Ausnahmen: zahlreiche Rechtsgeschäfte unterliegen einem mehr oder 
minder schweren gesetzlichen Formzwang. 
1. a) Der gesetzliche Formzwang tritt der Regel nach mit allergrößter 
Strenge auf: ist für ein Rechtsgeschäft ein gesetzlicher Formzwang eingeführt, 
so ist das Geschäft, wenn es den vorgeschriebenen Formen nicht genügt, für 
immer nichtig (125 Satz 1). So selbst dann, wenn der Formfehler, um den 
es sich handelt, anscheinend keine erhebliche Bedeutung hat und es wider Treu 
und Glauben verstößt, daß eine Partei um eines solchen geringen Formfehlers 
willen das Geschäft nicht gelten lassen will: der Formalismus der Rechts- 
geschäfte fragt nicht nach Treu und Glauben!
	        
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