Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

214 Buch I. Abschnitt 5. Rechtsgeschäfte. 
Beispiele. I. Der in Plön wohnhafte A. hat ebenda am 1. Mai 1908 ein Privat- 
testament errichtet, das mit den lithographierten Worten: „Plön, den " beginnt, im 
übrigen aber von A. eigenhändig geschrieben und unterschrieben ist; eine andre Ortsangabe 
als das lithographierte „Plön“ ist in dem Testament nicht enthalten. Hier ist das Testa- 
ment nichtig; denn das Gesetz schreibt vor, daß ein Privattestament „unter Angabe des 
Ortes und Tages“ eigenhändig geschrieben sein muß (2231 Nr. 2); es fordert also nicht 
bloß, daß das Testament den Ort und den Tag seiner Errichtung angibt, sondern auch, daß 
diese Angabe eigenhändig geschieht; demnach genügt die lithographierte Ortsangabe „Plön“ 
nicht, und die Folge dieses minimalen Formmangels ist die Nichtigkeit des ganzen Testa- 
ments. Und zwar ist die Nichtigkeit unheilbar. Wenn also A., auf seinen Formverstoß 
aufmerksam gemacht, am 1. Mai 1909 das lithographierte Wort „Plön“ ausstreicht und 
durch das eigenhändig geschriebene Wort „Plön“ ersetzt, so ist dies nicht als Verbesserung 
des alten, sondern als Errichtung eines neuen Testaments aufzufassen; daraus ergibt sich, 
daß nach der Praxis des Reichsgerichts ! das Testament durch die nachträgliche Anderung 
nur gültig wird, wenn A. sich am 1. Mai 1909 wirklich noch in Plön befand und wenn 
er zugleich im Datum des Testaments die Jahreszahl 1908 in 1909 berichtigt. II. B. hat 
seiner Braut C. privatim zugesagt, daß sie als Ehefrau ihr Vermögen selbständig verwalten 
und nutzen solle, und dabei wiederholt erklärt, die entgegengesetzte Regel des BG.s, die 
die Verwaltung und Nutzung des Frauenguts dem Manne zuspreche, sei eine Roheit gegen 
die Frau; kein anständiger Ehemann würde sich auf diese Regel berufen; kaum hat aber B. 
die C. geheiratet, so ist er roh genug, die Verwaltung und Nutzung des Vermögens der C. 
tatsächlich für sich in Anspruch zu nehmen. Hier ist B. vollkommen im Recht; freilich bricht 
er durch sein Verlangen die der C. gegebene Zusage; das macht aber nichts aus; denn seine 
Zusage hätte vor Gericht oder Notar abgegeben werden müssen (1434), ist also, da sie nur 
privatim abgegeben worden ist, nichtig. 
b) Neben dem strengen Formzwang, wie er zu a geschildert ist, gibt es 
aber auch einen gesetzlichen Formzwang milderer Art. 
a) Es gibt Formvorschriften, die über ein ihrem Formalismus nicht ge- 
nügendes Rechtsgeschäft nicht die Nichtigkeit für immer, sondern nur eine heil- 
bare Nichtigkeit verhängen. 
8) Es gibt Formvorschriften, die ein solches Rechtsgeschäft überhaupt nicht 
für nichtig erklären, sondern sich damit begnügen, seine Wirksamkeit irgendwie 
abzuschwächen. 
)) Es gibt Formvorschriften, die die Wirksamkeit eines solchen Rechts- 
geschäfts gänzlich unangetastet lassen und sich in andrer Art, insbesondre durch 
Androhung von Strafen, Geltung zu schaffen suchen. 
Beispiele. I. 1. Ein Schenkungsversprechen ist gerichtlich oder notariell zu beurkunden. 
Ein nicht in dieser Art beurkundetes Schenkungsversprechen ist aber nicht nichtig für immer, 
sondern seine Nichtigkeit wird geheilt, wenn der Schenker das Versprechen tatsächlich erfüllt 
(518). 2. Die Ehe ist vor einem Standesbeamten zu schließen. Eine in Abwesenheit des 
Standesbeamten geschlossene Ehe ist aber nicht nichtig für immer, sondern ihre Nichtigkeit 
wird geheilt, wenn die Ehe in das Heiratsregister eingetragen wird und die vermeintlichen 
Ehegatten 10 Jahre lang wie wirkliche Ehegatten miteinander leben (1324). II. Ein Miet- 
vertrag über ein Grundstück, der für längere Zeit als ein Jahr geschlossen ist, bedarf der 
schriftlichen Form. Ein mündlich abgeschlossener Mietvertrag dieser Art ist aber nicht 
nichtig, sondern gilt als für unbestimmte Zeit geschlossen mit der Maßgabe, daß die Kün- 
digung für eine frühere Zeit als für den Schluß des ersten Jahres unzulässig ist (566). 
III. 1. Die Ehe ist in Gegenwart zweier Zeugen zu schließen. Eine ohne Zeugen geschlossene 
Ehe ist aber gerade so gültig wie eine vor Zeugen geschlossene; die Formvorschrift hat also 
1) RG. 51 S. 167.
	        
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