Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

§ 60. Gesetzlicher Formzwang. 215 
nur den Sinn, daß der Standesbeamte bei einer Eheschließung ohne Zeugen nicht mitwirken 
soll und, wenn er es doch tut, disziplinär bestraft wird (1318, 1323, 1324). 2. Gewisse Er- 
klärungen eines Nacherben sind auf Verlangen des Vorerben öffentlich zu beglaubigen. Eine 
derartige Erklärung ist aber, wenn der Nacherbe sie trotz des Verlangens des Vorerben nicht 
beglaubigen läßt, gerade so gültig, wie wenn sie die Beglaubigung erhalten hat; die Form- 
vorschrift hat also nur den Sinn, daß der Vorerbe den Nacherben im Prozeßwege zwingen 
kann, seine Erklärung beglaubigen zu lassen (s. 2120). 
2. a) Ist die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts kraft Gesetzes von der Be- 
obachtung einer Form abhängig, so erstreckt sich der Formzwang auf das 
Rechtsgeschäft als Ganzes. Es genügt also keineswegs, daß die Parteien, die 
das Geschäft vornehmen, nur irgendein einzelnes Stück ihrer darauf bezüg- 
lichen Willensäußerungen formalisieren. Der Formalismus muß vielmehr die 
Gesamtheit der für die Wirkung des Geschäfts maßgebenden Willensäußerungen 
der Parteien mit Einschluß selbst der unwichtigsten Nebenbestimmungen um- 
fassen und muß eine jede dieser Außerungen vollständig zum Ausdruck 
bringen.? Und zwar ist, wenn ein Rechtsgeschäft dieser Regel entgegen nur 
zu einem Teil formalisiert ist, einem schon früher erörterten Grundsatz (oben 
S. 167) zufolge nicht etwa bloß der formlose Teil, sondern das ganze Rechts- 
geschäft unwirksam, es sei denn, daß anzunehmen ist, die Parteien würden das 
Geschäft auch ohne den unwirksamen Teil gewollt haben (139).3 
Beispiele. I. A. verkauft sein Rittergut Maliau mündlich an B. zum Preise von 
300 Mk. für den Ar und übernimmt dabei die Gewähr dafür, daß das Gut mindestens 
30 Hektar Rübenboden enthalte; auch gestattet er dem B., den Kaufppreis statt in bar in 
deutschen Staatspapieren zu entrichten; endlich macht er mit B. aus, daß dieser ihm auf 
Verlangen auch sein Reitpferd für 1000 Mk. abnehmen müsse; als der Kaufvertrag über das 
Grundstück später, wie das Gesetz (313) es vorschreibt, gerichtlich oder notariell beurkundet 
wird, wird eine dieser drei Abreden in die Urkunde nicht mit ausgenommen, weil die Parteien 
glauben, die Abrede bedürfe der Beurkundung nicht. 1. Erster Fall: die Abrede über die 
Größe des Rübenbodens ist nicht mit beurkundet. Hier ist diese Abrede wegen Formmangels 
nichtig; denn sie ist für den Umfang und Inhalt der Verpflichtungen des Verkäufers und 
der Rechte des Käufers offensichtlich sehr erheblich, bildet also ein wesentliches Stück des 
Kaufvertrages. Und die Nichtigkeit dieser einen Abrede macht den ganzen Kaufvertrag 
nichtig; denn es ist keineswegs sicher, daß B. das Gut ohne die Garantie A.s gekauft haben 
würde. 2. Zweiter Fall: die Abrede über die Entrichtung des Kaufpreises in Staatspapiere 
ist nicht mit beurkundet. Hier ist diese Abrede wegen Formmangels gleichfalls nichtig“: 
denn auch sie beeinflußt, wennschon in sehr geringem Maß, die Rechte und die Pflichten 
der Parteien aus dem Grundstückskauf; es ist eben nicht ganz dasselbe, ob A. sein Gut dem 
B. nur gegen Zahlung baren Geldes oder ob er es ihm auch gegen Hingabe von Staats- 
papieren lassen muß; auch sie war also mit zu beurkunden. Doch folgt aus der Nichtigkeit 
dieser Abrede, anders als zu 1., nicht die Nichtigkeit des ganzen Kaufvertrages; denn es ist 
anzunehmen, daß B. den Kauf auch dann abgeschlossen haben würde, wenn A. die Ent- 
richtung des Kauspreises in Staatspapieren von vornherein zurückgewiesen haben würde. 
3. Dritter Fall: die Abrede über den Pferdekauf ist nicht mit beurkundet. Hier ist diese 
Abrede trotz des Mangels der Form gültig und demgemäß auch die Gültigkeit des Grund- 
stückskaufs nicht in Frage gestellt. Denn man muß entweder von vornherein annehmen, daß 
die Rechte und die Pflichten der Parteien aus dem Grundstückskauf von ihren Rechten und 
Pflichten aus dem Pferdekauf völlig unabhängig sind, oder man muß, wenn man eine Ab- 
2) RG. 52 S. 1; 57 S. 263; 56 S. 50; 62 S. 172, 382; 65 S. 48. 
3) R. 56 S. 50. 4) Abw. unfre 4. Aufl. S. 189. 
 
	        
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