§ 60. Gesetzlicher und gewillkürter Formzwang. 217
als sie ihr von Nachteil sind; Äußerungen, die sie lediglich zu ihren eignen
Gunsten abgibt, sind also dem Formzwang nicht unterworfen.
Beispiel. Bei Abschluß eines Bürgschaftsvertrages bedarf nur die Übernahme der
Bürgschaft seitens des Bürgen, nicht auch die Annahme der Bürgschaft seitens des Gläubigers
einer Form, nämlich, wie schon erwähnt, der Schriftlichkeit (766). Wenn nun ein Bürge
dieser Form genügt, daneben aber mit dem Gläubiger mündlich vereinbart, daß seine Haftung
eine selbstschuldnerische sein solle, aber unter keinen Umständen den Betrag von 3000 Mk.
übersteigen dürfe, so ist von diesen beiden Nebenabreden die erste, weil dem Bürgen von
Nachteil, nichtig, die zweite, weil dem Bürgen lediglich von Vorteil, gültig.
3. Ob der für ein bestimmtes Rechtsgeschäft eingeführte gesetzliche Form-
zwang auch für Geschäfte gilt, die jenes erste Rechtsgeschäft nachträglich ab-
ändern oder aufheben, läßt sich nicht allgemein entscheiden. Maßgebend ist
dafür, welche Zwecke das Gesetz mit seinen Formvorschriften verfolgt.
Beispiele. I. Die nachträgliche Aufhebung eines Ehevertrages ist formbedürftig, die
eines Grundstückskaufsé ist es nicht. II. Die nachträgliche Anderung eines Schenkungsver-
trages ist sormbedürftig, wenn sie den Schenker belastet, formfrei, wenn sie ihn begünstigt.
4. Der gesetzliche Formzwang ist zwingenden Rechts, kann also von den
Parteien nicht abgeändert oder gar gänzlich ausgeschlossen werden.
Ein Beispiel s. oben S. 31 am Ende von §8§ 9 unter I.
5. Das Reichsgericht nimmt an, daß bei Rechtsgeschäften, die als Bestandteil eines
gerichtlichen Vergleichs vorgenommen werden, stets die Form dieses gerichtlichen Vergleichs
genüge, selbst wenn das Geschäft, getrennt für sich vorgenommen, einer andern Form be-
dürfte." Mir scheint diese Annahme unbegründet; insbesondre halte ich an dem Erfordernis
der gleichzeitigen Anwesenheit beider Parteien beim Abschluß eines Ehe= oder Erbvertrages
(1434, 2276) auch dann fest, wenn der Vertrag Bestandteil eines gerichtlichen Vergleichs ist.
III. 1. Außer dem gesetzlichen gibt es bei vermögensrechtlichen Geschäften
auch einen gewillkürten Formzwang, der lediglich auf einer rechts-
geschäftlichen Bestimmung der bei dem Geschäft beteiligten Parteien beruht.
Es gelten für ihn im Zweifel dieselben Regeln wie für den gesetzlichen Form-
zwang. Insbesondre ist bestimmt, daß ein Rechtsgeschäft, das den gewill-
kürten Formvorschriften nicht entspricht, im Zweifel für immer nichtig sein soll
(125 Satz 2, 154 II). Ingleichen ist im Zweifel anzunehmen, daß der für
ein Rechtsgeschäft eingeführte gewillkürte Formzwang sich auf das Rechts-
geschäft als Ganzes erstreckt und demgemäß, gerade wie der gesetzliche Form-
zwang, auch für die geringfügigsten Nebenbestimmungen des Geschäfts gilt.
Beispiele. I. 1. A. hat dem B. seine Villa zur Miete auf ein Jahr angeboten und
dabei gleich erklärt, der Mietvertrag müsse notariell gemacht werden; darauf einigen sich A.
und B. über alle für den Vertrag erheblichen Punkte und konstatieren dies auch ausdrücklich;
als sie aber später zum Notar gehn, fordert B. allerlei Abänderungen an der bisherigen
Vereinbarung und bricht, als A. nicht zustimmt, die Verhandlung ab. Hier ist B. im Recht; denn
nach der von A. selbst getroffenen Bestimmung waren die zwischen ihm und B. gepflogenen Miet-
verhandlungen so lange, als sie noch nicht notariell beurkundet waren, beiderseits unverbindlich.
Hieran ändert auch der Umstand nichts, daß die Parteien ihre Einigung vor der Beurkundung
ausdrücklich konstatiert haben; denn diese Konstatierung kann rein tatsächlicher Art gewesen sein
und weist auf eine Absicht der Parteien, sich schon vor der Beurkundung bindend zu ver-
5) Siehe R. 65 S. 48. 6) RE. 65 S. 392.
7) RG. 48 S. 183.