252 Buch I. Abschnitt 5. Rechtsgeschäfte.
kehrssitte gemäß, außer den 30 und den 15 Mk. auch Wohnung und Verköstigung verlangen.
V. Der Restaurateur J., der bei seinem Zigarrenlieseranten K. von jeder Zigarrensorte
höchstens 4000 Stück zu bestellen pflegt, macht bei K. telephonisch eine Bestellung auf Flora-
modesta; als K. zurückfragt: „wieviel Mille“ antwortet er: „diesmal tausend“. Hier geht
J.s Bestellung im Gegensatz zu ihrem zweifellosen Wortsinn nicht auf 1000 Mille, sondern
auf 1000 Stück.
2. a) Ist die auszulegende Willensäußerung empfangsbedürftig und
gegenüber der Gegenpartei abzugeben, so sind bei der Auslegung der Regel
nach nur solche Nebenumstände zu berücksichtigen, die der Gegenpartei beim
Zugang der Außerung bekannt oder wenigstens erkennbar waren. Denn eine
solche Außerung ist ja für den Empfänger bestimmt; seinetwegen wird der
Wille zwar nicht gefaßt, aber doch erklärt; eben deshalb muß die Außerung
auch seinem Verständnisvermögen angepaßt werden. Demnach ist der Empfänger
in seinem Recht, wenn er den Urheber der Außerung „beim Wort nimmt" in
dem Sinn, wie er, der Empfänger, dies Wort hat verstehn müssen, mag auch
der Sinn, den der Urheber selbst dem Wort beigelegt hat, ein ganz andrer
gewesen sein. Doch gibt es Ausnahmen von dieser Regel. Namentlich können
Nebenumstände, die der Gegenpartei unerkennbar waren, zu einer bestimmten
Auslegung einer Willensäußerung insoweit verwendet werden, als die Gegen-
partei bei Abgabe der Außerung an dieser Auslegung gar kein Interesse hatte;
denn insoweit konnte der Urheber der Außerung mit Recht davon absehn, die
Gegenpartei auf diese Nebenumstände aufmerksam zu machen.
Beispiele: I. A. in M. ist zum Bürgermeister der Stadt N. gewählt und mietet von B.
in N. sofort ein Haus im Glauben, daß es selbstverständlich sei, die Miete solle nur unter
der Bedingung gelten, daß seine Wahl vom Könige bestätigt würde: B. ahnt aber von
dieser Bedingung nichts, weil A. sie ihm nicht mitteilt und weil er glaubhaft gehört hat,
A. wolle unter allen Umständen nach N. ziehn. Hier ist der Mietvertrag ohne die von A.
vorausgesetzte Bedingung zustande gekommen, bleibt also auch dann wirksam, wenn W.8
Wahl nicht bestätigt wird. II. C. in O. schreibt die durch den Tod seines bisherigen
Gärtners D. erledigte Gärtnerstelle aus; E. meldet sich, und C. engagiert ihn; da D.
jahrelang bei C. der in O. herrschenden Sitte zuwider nebenbei auch alle mögliche Haus-
arbeit verrichtet hat, verlangt C. die nämliche Hausarbeit auch von E., während dieser nur
den Garten C.s versorgen will. Hier ist C. nur im Recht, wenn E. wissen mußte, in welcher
Art sein Vorgänger bei C. beschäftigt war. III. F. verlangt von G. als Mietzins für seine
Villa telephonisch 3000 Mk., was G. sofort akzepnert;: H., der beim Telephonieren neben F.
stand, kann aber bezeugen, daß F. unmittelbar vorher zu ihm sagte: „der alte G. rechnet noch
immer nach Talern; ich will ihm also statt 9000 Mk. 3000 Taler abverlangen“; tatsächlich
ist auch ein Mietzins von 3000 Talern für die Villa ganz angemessen. Hier ist zu
unterscheiden: 1. Mußte G. auf Grund der mit F. gepflogenen Vorverhandlungen annehmen,
daß F. sich nur versprochen und mit den 3000 Mk. 3000 Taler gemeint hat, so ist ein
Mietvertrag zwischen F. und G. über einen Mietzins von 9000 Mk. zustande gekommen;
denn bei „freier“ Auslegung ist alsdann sowohl F.s Angebot wie G.s Annahme auf einen
Mietzins in dieser Höhe zu beziehn. 2. War es dagegen möglich, daß G. ohne Fahrlässig-
keit das Angebot F.s wortgetreu verstand, so ist ein Miewertrag zwischen F. und G. bei
einem Mietzins von 3000 Mk. zustande gekommen; denn G. ist alsdann wohl befugt, den
F. „beim Wort zu nehmen“. Ubrigens werden wir im folgenden Paragraphen sehn, daß
dem F. ein Mittel zu Gebot steht, sich von diesem seinem Wort doch noch zu lösen.
3. Mußte endlich G. erkennen, daß F. sich mit seinem Gebot nur versprochen hat, konnte
er aber nicht wissen, daß F.s Gebot gerade auf 3000 „Taler“ ging, so ist ein Mietvertrag