§ 63. Auslegung der Rechtsgeschäfte. 253
zwischen F. und G. überhaupt nicht zustande gekommen. IV. J. sagt bei einer Auktion zu
seinem Nachbar: „aus Unsinn will ich auch mitbieten“ und macht wirklich auf die erste beste
Sache, die der Auktionator ausbietet, ein Gebot, indem er es für selbstverständlich hält, daß
er überboten wird; es erfolgt aber kein Übergebot, und die Sache wird ihm zugeschlagen.
Hier muß J. die Sache nehmen, obschon er sie in Wirklichkeit gar nicht haben wollte, weil
der Auktionator von den Nebenumständen, die auf G.s wahren Willen schließen ließen,
nichts wissen konnte. V. Siehe die Beispiele unten S. 275 bei 8.
b) Ob eine Einschränkung der Auslegung wie die zu a analog auch für
empfangsbedürftige Willensäußerungen, die gegenüber einer Behörde abzugeben
sind, und für nicht empfangsbedürftige Willensäußerungen gilt, läßt sich nicht
allgemein entscheiden.
Beispiele. I. A. hatte in jungen Jahren einen Freund, den er damals Bismarck zu
nennen pflegte; seitdem hat er diese Benennung nicht mehr angewendet, sodaß B. sie völlig
vergessen hat; A. selber hat sie aber noch in Erinnerung behalten und schreibt deshalb, als
er in hohem Alter sein Testament macht und des B. gedenkt, die Bestimmung hinein:
„alle meine schönen Bücher und Bilder soll mein Bismarck erhalten“: nach A.3 Tode bleibt
diese Klausel anfangs als unverständlich unausgeführt, bis durch irgendeinen Zufall nach-
träglich ihr Sinn bekannt wird. Hier ist die Zuwendung A.#s an B. gültig. II. C. setzt
in der Zeitung eine Belohnung für die Entdeckung des Urhebers eines in seinem Garten
verübten Baumfrevels aus; D. liest dies, legt sich aufs Spionieren und entdeckt wirklich
mit vieler Mühe, daß ein gewisser E. in C.s Garten vor kurzem einen Baumfrevel verübt
hat; es stellt sich aber heraus, daß C. in seiner Bekanntmachung gar nicht diesen von E.
begangenen, sehr unbedeutenden Frevel, sondern einen andern schlimmern gemeint hat, an
dem E. nicht beteiligt ist. Hier braucht D. diese Auslegung nur gegen sich gelten zu lassen,
wenn der wirkliche Sinn von C.s Auslegung ihm noch vor der Entdeckung des E. bekannt
oder erkennbar geworden ist.
3. Die Zulässigkeit der freien, die begleitenden Nebenumstände mit be-
rücksichtigenden Auslegung gilt auch bei formbedürftigen Rechtsgeschäften.
Die wichtige Folge ist, daß formlose Willensäußerungen, die die Parteien bei
Vornahme eines formbedürftigen Rechtsgeschäfts mit Bezug auf das Geschäft
abgeben, zwar der Regel nach nicht dazu tauglich sind, die formgerecht abge-
gebene Willensäußerung der Parteien abzuändern oder zu ergänzen, daß sie
aber sehr wohl zur Auslegung dieser Außerung verwendet werden können.“
Beispiele. I. A. hat sein „Haus samt Garten“ an B. zum Preise von 50 Mk. für
den Quadratmeter mündlich verkauft; in der notariellen Urkunde, in der später der Kauf
verbrieft wird, ist aber nur von dem „Hause“ die Rede. Hier kann man nicht sagen, daß
neben dem notariellen Haus= auch der mündliche Gartenkauf aufrecht erhalten werden dürfe.
Wohl aber geht es an, den mündlichen Gartenkauf in den notariellen Hauskauf hinein-
zuinterpretieren, indem man sagt, nach den mündlichen Vorverhandlungen der Parteien
müsse man unter dem in der Notariatsurkunde erwähnten „Hause“ das „Haus samt Garten“
verstehn. II. A. verkauft an B. in derselben Art wie zu 1 17 verschiedene Ackerparzellen;
bei Aufnahme der Notariatsurkunde läßt der Notar eine der Parzellen versehentlich fort.
Hier kann der Kauf der fortgelassenen Parzelle auch nicht im Wege der Auslegung des
notariell beurkundeten Kaufs aufrecht erhalten werden, sondern ist und bleibt ungültig.
4. Dagegen erleidet die Zulässigkeit „freier" Auslegung der Rechtsgeschäfte
mitunter eine Ausnahme dadurch, daß das Gesetz eine rechtsgeschäftliche Be-
stimmung nur dann für gültig erklärt, wenn sie „ausdrücklich“ getroffen ist.
4) Danz a. a. O. S. 134.