5 64. Anfechtung wegen Irrtums. 263
Beispiele. I. Erheblich ist der Irrtum in allen oben zu a genannten Fällen. II. Er-
heblich ist er auch im folgenden Fall: A. bestellt bei seinem alten, bewährten Wein-
lieferanten B. 30 Flaschen Sekt von Müller zum Preise von 120 Mark; er verschreibt sich
aber und schickt die Bestellung an C.; C. ist ebenso tüchtig wie B. und führt die Bestellung
genau in gleicher Art aus, wie dies B. getan haben würde; trotzdem ist A.s Bestellung
wegen erheblichen Irrtums anfechtbar; denn ein verständiger Mensch geht nicht ohne Grund
von seinem bisherigen bewährten Lieferanten ab; es ist also anzunehmen, daß auch A. bei
Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falls seine Bestellung an C.
nicht abgegeben haben würde. III. Ein Beispiel eines Irrtums, der bei objektiver Prüfung
der Sachlage als unerheblich erscheint, bietet solgender Fall: D. fragt beim Tabakhändler
E. nach Zigarren zu 80 Mark, probiert eine ihm vorgelegte Sorte und bestellt sofort „von
dieser Sorte zu 80 Mark“ ein Kistchen zu 25 Stück; nachträglich belehrt ihn die Rechnung,
daß jener Preis von 80 Mark sich nicht, wie er annahm, auf 100, sondern auf 1000 Stück
bezog. Hier ist der Irrtum des D., der die Zigarren zehnmal billiger bekommt, als er
dachte, offenbar unerheblich. Und er bleibt es selbst dann, wenn D. nachweist, daß er zu
fein gewöhnt sei, um eine Zigarre, die nur 8 Pfennige koste, zu rauchen; bei verständiger
Würdigung des Falls muß er die Zigarren, zumal er sie vorher probiert hatte, behalten.
IV. Daß auch die subjektiven Verhältinisse des Irrenden Berücksichtigung fordern, zeigt
folgender Fall 1½: F. mietet eines von zwei benachbarten Häusern, verspricht sich aber dabei,
indem er das „rechte“ sagt, während er das „linke“ meint; beide Häuser sind ganz gleich;
nur ein Unterschied besteht: das rechte Haus hat die Hausnummer 13; nun ist F.s Frau
nervös und abergläubisch in solchem Maß, daß sie in einer Nr. 13 schwerkrank werden
würde. Hier betrifft der Irrtum F.s an und für sich eine Albernheit; aber er ist trotzdem,
wegen des Gesundheitszustandes der Frau, auch bei verständiger Würdigung des Falls er-
heblich. — Darf in letzterem Fall der Vermieter folgendes einwenden? F. behandle seine
Frau schlecht; daß er jetzt auf den Aberglauben und die Nerven seiner Frau achte, sei nur
ein Vorwand; der Irrtum Fs möge also vielleicht bei verständiger Würdigung des Falls
erheblich sein; von dem subjektiven Standpunkt F.#aus betrachtet, sei er dagegen höchst
unerheblich. Die oben bei Anm. 11 bekämpfte Anschauung müßte diesen Einwand zulassen,
während ich ihn verwerfe.
c) In dem dritten Irrtumsfall zu a (Irrtum über Eigenschaften) muß
endlich noch hinzukommen, daß der Irrtum nicht bloß in dem eben entwickelten
Sinn erheblich gewesen ist, sondern außerdem eine „wesentliche“ Eigenschaft
der Sache oder Person betroffen hat (119 II). Es fällt nämlich der „erheb-
liche Irrtum über Eigenschaften“ keineswegs mit dem „Irrtum über wesent-
liche Eigenschaften“ zusammen: insbesondre kann ein Irrtum über einen ge-
wissen Grad von Brauchbarkeit einer Sache oder einer Person höchst erheblich
sein, betrifft aber trotzdem keine wesentliche Eigenschaft. Wirklich wesentlich
sind vielmehr nur Eigenschaften, die nach der Verkehrsanschauung für das vor-
liegende Rechtsgeschäft geradezu das „Wesen“ der Sache oder Person be-
stimmen."3
Beispiele. I. 1. In dem dritten der oben zu a genannten Fälle betraf der Irrtum
über die Laute wirklich eine wesentliche Eigenschaft der gekauften Sache: denn eine Laute,
die gespielt werden kann, und eine Laute, die nur als Wandschmuck dient, sind ebenso
a'wesentlich" verschieden wie eine Zigarre aus Tabak und eine Zigarre aus Schokolade.
2. Dagegen wäre ein Irrtum, der nur den Wert oder nur die Herkunft der Laute oder nur
den Stoff, aus dem sie gebaut ist, betrifft, nicht „wesentlich“. II. Mietet jemand eine Köchin
12) Zum Teil Hölder, Arch. f. ziv. Pr. 80 S. 38 entnommen.
13) Lenel, Jahrb. f. Dogm. 44 S. 1.