Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

§ 64. Anfechtung wegen unrichtiger Ubermittlung. 269 
Beispiele. I. Von dem Fall abgesehn, daß die Mittelsperson die zu übermittelnde 
Außerung absichtlich falsch wiedergegeben hat, sind folgende Rechtsgeschäfte wegen unrichtiger 
Übermittlung anfechtbar. 1. A. telegraphiert an B. „verkaufe 1000 Kreditaktien“; das bei 
B. ankommende Telegramm lautet „kaufe 10.000 Kreditaktien“. 2. C. läßt seinem Haus- 
wirt D. durch einen Boten sagen, daß er den Mietvertrag auf ein Jahr verlängere; der 
Bote bestellt, daß C. kündige. 3. a) E. schickt durch einen Boten einen Brief an F., in dem 
er diesem einen sehr riskanten Kauf anbietet; auf einem dem Brief beigelegten Zettelchen 
findet sich aber die Notiz: „mein Antrag ist vorläufig unverbindlich“; der Bote öffnet den 
Brief und liest ihn; dabei geht das Zettelchen verloren, so daß F. nur den eigentlichen Brief 
ohne jene einschränkende Klausel erhält. b) G. schickt durch einen Boten einen Brief an H., 
in dem er diesem einen Kauf anbietet; zu diesem Brief hat er einen Nachtrag geschrieben, 
in dem er die Bedingungen seines Angebots ändert, hat aber die Anderungen später als 
unzweckmäßig erkannt und deshalb den Nachtrag dem Boten nicht mitgegeben; trotzdem 
nimmt der Bote auch den Nachtrag, der offen auf dem Tisch neben dem Brief lag, mit und 
liefert ihn zugleich mit dem Brief an H. ab. 4. J. bestellt durch sein Dienstmädchen bei 
dem soliden Weinhändler K., obschon er selber keine Alkoholika gebraucht, eine Flasche Rot- 
wein, da er einen Gast erwartet, dem der Rotwein ärztlich vorgeschrieben ist. Das Mädchen 
macht aber eins der folgenden Mißverständnisse. a) Sie bestellt den Wein nicht bei K., 
sondern bei dem übel beleumundeten L. 16 b) Sie bestellt nicht eine Flasche Rot-, sondern eine 
Flasche Weißwein. c) Sie bestellt 12 Flaschen Rotwein. d) Sie bestellt ein Faß Bier. 
II. Dagegen sind alle diese Rechtsgeschäfte nichtig, wenn kein Mißverständnis oder sonstiges 
Versehn, sondern eine Bosheit der Mittelsperson vorliegt. 
Früher habe ich angenommen, daß, wenn der Mittelsmann statt der ihm aufgetragenen 
Außerung eine ganz andre bestellt, die Bestellung nicht bloß anfechtbar, sondern nichtig sei.220 
Doch lasse ich diese Annahme sallen, weil sie praktisch undurchführbar ist. Denn dann läge 
ja in dem soeben zu I, 1 genannten Beispiel kein anfechtbares, sondern ein nichtiges Geschäft 
vor, — Kauf ist etwas „ganz andres“ als Verkauf! —, und doch ist es außer Streit, daß 
gerade dies Geschäft nicht nichtig, sondern anfechtbar ist. 
2. Sind die Voraussetzungen zu 1 erfüllt, so gelten dieselben Regeln 
wie bei der Anfechtung wegen Irrtums. Mit gutem Grunde: der Urheber 
der Außerung gebraucht die Person, die die Außerung übermitteln soll, als 
Werkzeug seines Außerungswillens geradeso, wie er seinen Mund gebraucht; 
eine unabsichtliche Verstümmlung der Außerung durch die Mittelsperson ist 
also ebenso zu beurteilen wie die Verdrehung der Außerung durch den eignen 
Mund. Hervorzuheben ist, daß die Anfechtung unverzüglich erfolgen muß und 
daß der Anfechtende der Gegenpartei schadensersatzpflichtig ist (121, 122). 
3. Sind die Voraussetzungen zu 1 nicht erfüllt, so ist die Anfechtung 
wegen unrichtiger Übermittlung ausgeschlossen. Daraus folgt aber natürlich 
nicht, daß die unrichtig übermittelte Außerung gültig ist. Vielmehr kann sie 
sehr wohl aus einem andern Grunde nichtig oder aufechtbar sein. Ins- 
besondre ist eine von der Mittelsperson absichtlich entstellte Außerung — sei 
es ganz, sei es, soweit die Entstellung reicht — als unecht nichtig (s. oben 
S. 174). 
Demgemäß ist auf S. 174 Z. 13 v. u. statt „Verfälschung“ zu lesen „versehentliche 
Entstellung“. 
19) Abw. für diesen Fall Biermann 1 S. 2440. 
20) Siehe die 4. Aufl. dieses Buchs 1 S. 226. Ebenso Crome 1 N 94 12.
	        
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